Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

9. Juli 2020

Richtervorbehalt in der Praxis

Der Richtervorbehalt soll in der Theorie sicherstellen, dass grundrechtsintensive Maßnahmen der Ermittlungsbehörden sich an den verhältnismäßig strengen Regeln des Prozessrechts orientieren. Doch wie sieht es in der alltäglichen Praxis aus?

Der Staatsanwalt beantragt beim Ermittlungsrichter den Erlaß eines Beschlusses nach §§ 100a Abs. 1, 100b StPO, mit dem die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation nebst eines etwaigen DSL-Anschlusses … angeordnet wird:

Der Beschuldigte ist verdächtig, unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu handeln, indem er den gesondert verfolgten R* im Mai / Juni und im August 20** mit 1 Kilogramm Amfetamin und 500 Gramm Kokain sowie mit 500 Gramm Amfetamin und 200 Gramm Kokain belieferte.
Durch die Ermittlungen wurde bekannt, dass der Beschuldigte Nutzer o.g.Telefonanschlusses/ Telefonanschlüsse ist.
Ohne die Anordnungen wäre die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder wesentlich erschwert.
In Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs sind die Anordnungen auch nicht unverhältnismäßig.
Im Falle antragsgemäßer Entscheidung bitte ich, zusätzlich eine Ausfertigung des TKÜ-Beschlusses ohne Gründe den Akten beizufügen.

Eine weitere Begründung oder sonstige Hinweise oder Details enthält der Antrag nicht.

Zwei Blatt weiter hinten in der Akte liegt der richterliche Beschluss, mit dem die Telekommunikationsüberwachung („TÜ“) angeordnet wird:

Aufgrund der detaillierten Angaben der Zeugin K*, der ehemaligen Lebensgefährtin des gesondert verfolgten T*, besteht der Verdacht, dass der Beschuldigte, der einschlägig vorbestraft ist, im Mai und Juni 20** an den gesondert verfolgten T* 1 Kilogramm Amfetamin und 500 Gramm Kokain und in einem weiteren Fall 500 Gramm Amfetamin und 200 Gramm Kokain verkaufte.
Es besteht gegen den Beschuldigten der Verdacht, folgende Katalogtat i.S.d. § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO begangen zu haben:
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a BtMG.
Der Anschlussinhaber ist der Beschuldigte sowie eine sonstige Person deren Anschluss der Beschuldigte nutzt.
Die Überwachung ist unentbehrlich, weil andere Aufklärungsmittel nicht vorhanden sind.

Eine weitere Begründung oder sonstige Hinweise enthält auch der richterliche Beschluss nicht.

Die folgende Seite in der Akte enthält die knappe Anweisung des Staatsanwalts an die Polizei, diesen Beschluss zu vollstrecken.

So sieht der Richtervorbehalt in der Praxis aus.

Wodurch unterscheidet sich dieser Ablauf eigentlich davon, dass der Staatsanwalt (oder gar der Polizeibeamte selbst) die TÜ ohne diesen lästigen Umweg anordnet?

Mit anderen Worten: Was kontrolliert der Richter da eigentlich?

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

11 Kommentare

  • Stefan sagt:

    Gegenfrage aus Interesse: Wie soll und kann der Richter die Angaben der Polizei kontrollieren, wenn er der Polizeiarbeit nicht trauet?

  • Matthiasausk sagt:

    Andere Frage: Wenn der Beschuldigte jetzt gar keinen DSL-Anschluß hat sondern zB über das Kabelnetz telekommuniziert, dann wäre die Überwachung hinfällig?

    Oder muß man das nicht so eng sehen mit den technischen Begriffen?

  • HD sagt:

    Welches mehr an Begründung wird denn vermisst? Soweit ersichtlich, wurde der Beschluss doch gegenüber dem Antrag sogar noch angereichert, indem die Verdachtslage näher erläutert wird: die Ex-Lebensgefährtin habe etwas „detailliert“ geäußert.

  • Rath sagt:

    Gegenfrage aus Interesse: Wie soll und kann der Richter die Angaben der Polizei kontrollieren, wenn er der Polizeiarbeit nicht trauet?

    Welches mehr an Begründung wird denn vermisst?

    Es gibt diese hübsche Anekdote beim Historiker Gordon A. Craig, der erzählt, wie ein britischer Tourist im Preußen des Kaiserreichs einen Schutzmann nach dem Weg fragt. Nachdem er die exakte Wegbeschreibung erhalten hat, glaubt er, sich nur höflich dankend verabschieden zu können, wird aber angeschnauzt mit: „Wiederholen!“

    Wenn man die Gegenfragen von „Stefan“ und „HD“ liest, glaubt man ja fast: Soweit sind wir bald auch wieder, mit der Zeitmaschine zurück in den Obrigkeitsstaat.

    Kurz:

    1. Die Frage eines Vertrauens in die Polizei ist erst einmal gar nicht zwingend angesprochen, sondern die Frage, wozu ein Richtervorbehalt gut sein soll, wenn der Richter im konkreten Vorgang ohnehin nichts prüft. – Gegenfrage zur Gegenfrage: Ist das wirklich so schwer gedanklich auseinanderzuhalten?

    2. Wenn der Antrag in keiner Weise darstellt, welche vorrangigen, einfacheren alternativen Ermittlungsmethoden vor dem schweren Grundrechtseingriff der Telefonüberwachung bereits erfolglos in Angriff genommen wurden – wie wäre es dann einmal mit einer richterlichen Nachfrage, vorzugsweise im Rahmen einer mündlichen Anhörung der operativ verantwortlichen Polizisten – man muss ja nicht gleich ganz so weit gehen, wie es amerikanische Richter tun – die würden gleich noch die für die TKÜ zuständigen Polizeibeamten auf den detaillierteren und, was die milderen Ermittlungsmethoden angeht, substantiierten Überwachungsantrag einen Eid schwören lassen, dass es nur mit TKÜ und nicht anders geht.
    Sie wissen schon, die USA, dieses Land, in dem die konservative Richterschaft vor Misstrauen gegen Polizeibeamte immer ganz aus dem Häuschen ist … (von den dort ungleich schärferen Eingrenzungen der Überwachung selbst mal ganz zu schweigen).

    In der rechtswissenschaftlichen Diskussion finden sich gelegentlich Beiträge, die den deutschen Richtervorbehalt in solchen Dingen ablehnen, weil im konkreten Fall ohnehin nichts kontrolliert wird – und mit der gesetzlichen Regelung sowohl das berufsethnische Selbstverständnis der Richter als auch die Vorstellung der Öffentlichkeit, was hier an richterlicher Kontrolle überhaupt geleistet wird, korrumpiert werde.

    Das scheint mir immerhin mal ein diskussionswürdiger Einwand gegen den Richtervorbehalt, statt: Pickelhaube auf zum Gebet, der Polizei ist zu vertrauen!

    P.S. Mir fiel die durchgängige Scheibweise „Amfetamin“ auf, die zwar offenbar wikipedia-, uniform- und vielleicht auch robenkonformer BtMG-Sprachgebrauch, dem Online-Duden aber unbekannt ist. Im Duden hat der Stoff noch sein „ph“. Durchkopieren vom Feinsten, denke ich.

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Dazu fällt mir die höchstrichterlich immer wieder gern verwendete Aussage „ein bloß formelhaftes Bestätigen der Voraussetzungen genügt dem nicht“ ein.

  • Stefan sagt:

    @rath
    Das der Richtvorbehalt in Deutschland mitunter eine Unterschrift ist, die ohne Prüfung unter Durchsuchungsbeschlüsse etc. gesetzt wird, ist mir bekannt – und ich weiß auch, dass dies eben gerade nicht der Sinn der Sache ist. Der Richter soll prüfen und den Antrag dann bescheiden. Mir fiel einfach gerade nicht ein, WIE der Richter das tun könnte. Ich bin mit den Gepflogenheiten und Möglichkeiten eben nicht vertraut. Ich gehe aber jederzeit mit wenn wir sagen: Vertrauen alleine darf keine Entscheidung zu einem Richtervorbehalt herbeiführen. Das ist keine Prüfung eines Sachverhaltes.

  • Roland B. sagt:

    @Rath: Was hat denn die pädagogisch sinnvolle Lernzielkontrolle des aussagefreudigen Polizisten mit Obrigkeitsstaat zu tun?
    Selbst für die mutmasslich unfreundliche Art und Weise (die sich aber wohl kaum vom Umgangston im damaligen Lehrer–Schüler-Verhältnis unterschieden haben mag) haben wir vermutlich nur die Aussage des Briten, der unter Umständen mit der Feinheiten der Ausdrucksweise nicht wirklich ausgekannt haben könnte in der für ihn fremden Sprache. Insbesondere des „kurzen Umgangstons“ des sich oft aus ehemaligen Soldaten rekrutierednen Polizeiapparates.

  • Thd sagt:

    Nur weil die Begründung oberflächlich ist, heißt das noch lange nicht, dass auch die Prüfung oberflächlich war oder sogar ausblieb!

    Wer jemals erlebt hat, wie eine Revisionsverwerfung mit dem Satz „Die Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen“ in der Beratung einer stundenlage Diskussion bedurft hatte, der ist wieder etwas zuversichtlicher, was die Prüfung durch einen Richter angeht…

  • JLloyd sagt:

    „Ohne die Anordnungen wäre die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder wesentlich erschwert. In Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs sind die Anordnungen auch nicht unverhältnismäßig.“
    Da die Antragstelleerin diese beiden Behauptungen in keinster Weise substanziert hatte, hätte der Richter sie ablehnen können & m.E. sogar müssen. Es sind Richter dieser Geisteshaltung, welche unseren (Rechts-)staat stärker gefährden als alle Drogenhändler sowie links-, rechts- & religiös motivierten Terroristen zusammengenommen.

  • Schnorchel sagt:

    Ich frage mich eher, warum der Richter seinen Beschluss nicht begründet. Sowas wie ‚detaillierte Angaben der Zeugin‘ (die auch noch die Ex-Freundin ist, also Ohren auf!), ist keine Begründung.

  • kollege mk sagt:

    bin gespannt, was Richter Lex hierzu zu sagen hat 😉