Ungeeigneter Eröffnungskrawall

Es gibt sie, diese für ein faires Verfahren ungeeigneten Richter, die bereits vor Prozessbeginn das Urteil kennen. Und für die Verteidiger nur Störenfriede sind. Einer dieser Richter ist Vorsitzender am Landgericht Rostock.
Im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber die „Eröffnungserklärung“ in § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO institutionalisiert. Bereits vorher haben Verteidiger das aus dem amerikanischen Recht stammende „Opening Statement“ genutzt, um ein Gegengewicht zur Anklage zu setzen.
Opening Statement
In geeigneten Fällen können darin beispielsweise das Ziel der Verteidigung skizziert oder die Verteidigungsstrategie erläutert werden. Diese Verteidigererklärung kann auch der Kritik an der Anklage dienen oder insbesondere die (unwissenden) Schöffen über den bisherigen Verlauf des Ermittlungsverfahrens oder sonstige Hintergründe informieren.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll dieses Instrument „die Transparenz der Hauptverhandlung und die Kommunikation unter den Verfahrensbeteiligten von Beginn der Verhandlung an stärken, um damit zu einer offenen und effizienten Verfahrensführung beizutragen“ (BT-Drs. 18/11277, 33).
Vorstartkrawall
Bereits vor Beginn der Hauptverhandlung in einer Strafsache vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Rostock unter dem Vorsitz des VRiLG Guido Lex waren der Pflichtverteidiger und der Vorsitzende böse aneinandergeraten. Der Richter startete daraufhin den Versuch, den Verteidiger aus dem Rennen zu nehmen. Der Versuch scheiterte und hatte zur Folge, dass ich als weiterer Verteidiger in das Verfahren kam, nur ein paar Tage vor Beginn der Hauptverhandlung.
Vorabinfo
Ich hatte den Vorsitzenden vorab über meine Absicht informiert, dass ich ein Opening Statement abliefern wollte. Mein Ziel war es, den außergerichtlichen Krawall zu analysieren und darüber zu berichten, um den Konflikt möglichst nicht auch in die Beweisaufnahme hineinzuziehen.
Terminplanung
Der Vorsitzende hatte für die Verhandlung insgesamt zehn Hauptverhandlungstermine vorgesehen. Am ersten Hauptverhandlungstermin gab es unter anderem Probleme mit der Gerichtsbesetzung. Auch deswegen konnte die Anklage erst am dritten Verhandlungstag verlesen werden.
Die zwei „verlorenen“ Termine wurden dann als weitere Termine vereinbart und der Prozessplanung hinzugefügt; insgesamt sollten es nach aktueller Planung dann also zwölf Termine werden.
Antragserfordernis
Nach Verlesung der Anklage bat ich um das Wort zur Eröffnungserklärung. Ich war überrascht, als mich der Vorsitzende schroff aufforderte, erst einmal einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Üblicherweise ist ein Antrag nach § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO entbehrlich. Jedenfalls bei solchen Richtern, die sich auf einen kommunikativ geführten Prozess einlassen, in dem die professionellen Verfahrensbeteiligten auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Richter Lex ist aus anderem Holz geschnitzt – er war an dieser Stelle schon (oder noch immer) deutlich erkennbar auf Krawall gebürstet.
Also habe ich förmlich beantragt, mir „Gelegenheit zu geben, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen“ wird.
Überraschungsbeschluss
Überraschend hat der Vorsitzende diesen Antrag abgelehnt. Ich habe daraufhin den Gerichtsbeschluss nach § 234 Abs. 2 StPO gefordert. Der enthielt nun keine Überraschung mehr:

Gegenvorstellung
Die nachfolgende „Gegenvorstellung“ der Verteidigung änderte am Ergebnis nichts. Ich hatte noch vorgetragen, dass die Hauptverhandlung dauere bereits nach aktueller Planung länger als zehn, nämlich zwölf Tage. Und nach Einschätzung der Verteidigung werde auch mit den zwölf Verhandlungstagen nicht auszukommen sein, da erheblicher Aufklärungsbedarf bestand und mit unserem Mandanten kein kurzer Prozess gemacht werden könne.
Der Vorsitzende und seine nicht widerstandsfähigen Kammermitglieder stellten sich auf den Standpunkt, von den zwölf Terminen seien bereits zwei „verbraucht“, so dass das „gerichtliche Beweisprogramm konzeptionsgemäß“ mit zehn weiteren Terminen abgeschlossen werden könne. Damit lägen die Voraussetzungen für das Opening Statement nicht mehr vor.
Ungenutzte Chance auf ein faires Verfahren
Die Chance, das Verfahren doch noch in einer fairen und ruhigen Atmosphäre führen zu können, ließ der Richter ungenutzt. Die Verteidiger haben den Ball aufgenommen und weitere Punkte (über die ich hier noch berichten werde) für die sich anschließende Revision gesammelt.
Ungeeignet
Ein Richter, der bereits vor Beginn deutlich macht, wes‘ Geistes Kind er ist, und keine Zweifel daran zulässt, dass er den Angeklagten für schuldig hält, ist für seinen Job ungeeignet. Allein die richterliche Unabhängigkeit, die er zur Durchsetzung seines Vor-Urteils missbrauchen kann, rettet ihm seine Position.
Ausgespielt
Enttäuschend ist allein der Umstand, dass der VRiLG Guido Lex die Entscheidung des Bundesgerichtshofs über das auf diesem und weiteren Fehlern beruhende Urteil erst als pensionierter Richter miterleben wird. Vielleicht sind ihm in dem Bewusstsein, dass er in Kürze ausgespielt haben wird, die Prozessrechte des Angeklagten und seiner Verteidiger völlig gleichgültig gewesen.
Bild von MichaelGaida auf Pixabay
9 Kommentare
Ist ein Richter der von Anfang an klar zu erkennen gibt, dass er sich nicht an geltendes Recht halten möchte, nicht abzulehnen?
Ja, ich habe mich als Laie auch direkt gefragt, was aus dem Befangenheitsantrag wurde.
Wobei ich mich mich auch direkt gefragt habe, wie man als Richtergremium davon ausgehen will, dass die Terminplanung eingehalten wird, wenn man schon förmlich um „Krawallverteidigung“ (ich glaube so nennen Richter das, wenn ein Strafverteidiger seinen Job ernst nimmt ;)) bettelt.
Wenn man mit einer Suchmaschine seiner Wahl nach dem Herrn Guido Lex in Verbindung mit „Rostock“ sucht, wird man im negativen Sinne fündig.
Ein Kurzzitat aus erstes-seebad.de:
„“Guido Lex fiel selbst durch DDR-Jargon wie „Personensperranlagen“ oder „Sperrgebiet“ in Bezug auf die Zäune um das Grand Hotel auf““
Revisibel ist dieser Verstoß – wenn es denn einer sein sollte – aber nicht (KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 243 Rn. 127; BeckOK StPO/Gorf, 38. Ed. 1.10.2020, StPO § 243 Rn. 59).
Nomen est omen. Warum nennen Sie den vollständigen Namen des Vorsitzenden, Herr Hoenig? Verstößt das nicht gegen sein Persönlichkeitsrecht?
Hallo Herr Hoenig,
was ich auch nicht verstehe: Warum stellt man in einem solchen Fall keinen Befangenheitsantrag gegen den vorsitzenden Richter?
Gründe gäbe es genug, das Klima ist ohnehin ruiniert und für eine Revision kann das doch auch nur hilfreich sein, oder übersehe ich da etwas?
In dem Verfahren sind mehrere Ablehnungsgesuche gestellt und verworfen worden. Wegen dieser Fehlentscheidung allerdings nicht, weil selbst grob falsche Rechtsanwendung kein Ablehnungsgrund darstellt.
BTW: Befangenheitsanträge sind manchmal auch dazu geeignet, eine ruinierte Stimmung wieder auf Vordermann zu bringen. Das ist hier aber auch nicht gelungen.
Für die (bereits eingelegte) Revision gibt es noch reichlich anderes Material; über einen Teil davon werde ich hier noch berichten.
crh
Rostock? Ist das nicht dort, wo Vorsitzende einer Strafkammer vom BGH für befangen erklärt werden, weil sie mit dem T-Shirt „Wir geben ihrer Zukunft ein Zuhause – JVA“ auf Facebook posieren?
Bei diesem Richter scheint der (Nach)name ja nicht Programm zu sein …