Aufgewärmt: Befangenheit in Rostock

Befangene Richter gibt es tatsächlich. Und zwar ganz sicher öfter, als uns die Rechtsprechung zur Befangenheit glauben machen will. Schwierig ist es jedoch, sie loszuwerden. Das zeigt ein älterer Fall aus Rostock.
Ich hatte Ende Dezember über meine speziellen Erfahrungen mit dem krawalligen Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer beim Landgericht Rostock berichtet. Der VRiLG Lex hat mit einer fadenscheinigen Argumentation (zunächst) erfolgreich verhindert, dass die Verteidigung die in § 243 Abs. 5 Satz 3 StPO vorgesehene Stellungnahme abgibt.
Standard der Befangenheit
In den Kommentaren zu meinem Blogbeitrag wurde zu Recht mehrfach auf die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit einer Ablehnung des Richters hingewiesen. Der Standard-Textbaustein zum § 24 Abs. 2 StPO lautet:
Die Ablehnung eines Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt,
z.B. BGH 3 StR 482/15, 1 StR 726/13 oder 4 StR 275/09
wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger bzw. verständiger Angeklagter.
In „meinem“ Verfahren hat der Mandant nach Beratung durch seine Verteidiger an dieser Stelle des Verfahrens darauf verzichtet, das an sich angebrachte Ablehnungsgesuch zu stellen.
Der Zweifelsgrundsatz
Es hätte sicher nicht zum Ausschluss des Richters geführt und auch sonst keine Erfolge erzielen können; aus strategischen Gründen war es daher sinnvoll, darauf zu verzichten.
Wenn ein Richter vom Angeklagten abgelehnt wird, entscheiden andere Richter des selben Gerichts darüber, ob dieser „Befangenheitsantrag“ begründet ist oder nicht. Dabei gilt der Grundsatz: In dubio pro judicem, im Zweifel für den Richter.
Der „Wenn Du rauskommst, bin ich in Rente“-Blick
Wie das insbesondere beim Landgericht Rostock gehandhabt wird, zeigt der Fall des Vorsitzenden der 2. großen Strafkammer aus dem Jahr 2015. Darüber wurde in allen Medien breit berichtet; das Bild des Richters machte im Netz die große Runde.
Die Angeklagten, deren Fall dieser tiefenentspannte Biertrinker verhandelte, stellten den Befangenheitsantrag. Und was machen die Rostocker Kollegen des Vorsitzenden?
Am 28. Januar 2015 wies die Strafkammer die Ablehnungsgesuche der Angeklagten als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus,
BGH 3 StR 482/15 (pdf)
der Internetauftritt des Vorsitzenden betreffe ausschließlich dessen persönlichen Lebensbereich und sei offensichtlich humoristisch geprägt.
Dieser humoristisch geprägte Vorsitzende verkündete am Ende der Instanz das vollkommen unlustige Urteil: Acht Jahre für den einen, fünf Jahre und zehn Monate für den anderen Angeklagten. Also heftige Konsequenzen, die sorgsam und unvoreingenommen hätten abgewogen werden müssen, wenn sie denn in einem rechtsstaatlichen Verfahren verhängt werden sollten.
Kein Vertrauen beim Bundesgerichtshof
Aber erst die Revision der Angeklagten führte zu dem Ergebnis, dass diesem Terassenrichter die rote Karte hätte gezeigt werden müssen. Das Besondere bei der Entscheidung des 3. Senats des Bundesgerichtshofs ist:
Der Senat hat von der in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Verfahren an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.
BGH 3 StR 482/15 (pdf)
Das heißt im Klartext, dass die Richter am Bundesgerichtshof kein Vertrauen in die Unabhängigkeit der Richter am Landgericht Rostock hatten. Wenn schon gestandene Bundesrichter den Rostocker Landrichtern nicht über den Weg trauten, wie sollte dann unser Mandant darauf hoffen, von diesen Richtern fair behandelt zu werden.
Kolussives Zusammenwirken
Unser Mandant hat im Laufe seines Verfahrens mehrere Ablehnungsgesuche aus weitaus heftigeren Gründen gestellt, die der Vorsitzende frei Haus geliefert hat. Sie sind allesamt als unbegründet zurückgewiesen worden. Was bei diesem Rostocker Richterkollegium nicht anders zu erwarten war.
Cheerio, Herr Vorsitzender!
Aber auch über das Verfahren gegen unseren Mandanten wird der 3. Senat des BGH zu entscheiden haben. Diese Entscheidung schicken wir dem dann pensionierten ExVRiLG Lex nach Hause, damit er sie mit seinen Kollegen beim gemeinsamen Biertrinken lesen kann.
Bild von Stephen Marc auf Pixabay
5 Kommentare
Ah, es gab schon andere (noch „schlimmere“ ) Befangenheitsanträge. Das macht Sinn – ich hatte mich nämlich auch gefragt, warum der Antrag nicht zumindest im Hinblick auf eine Revision (wenn man schon nicht mit einem Erfolg rechnet) gestellt wurde.
Aber andere Frage (so sie denn wegen Schweigepflicht etc. beantwortet werden kann): Was sprach den dagegen, den Antrag zu stellen? Die Stimmung wird’s ja nicht gewesen sein ;-).
Wie ich Richter wahrgenommen habe, die kurz vor oder gerade nach Deponierung, äh: Pensionierung waren: er wird die Urteile nicht lesen, sie werden ihn einfach nicht interessieren. Er benutzt das bestenfalls zum Anzünden des Holzes im Kamin.
Danke! Naja, wenigstens ist die An- / Abfahrt nach Stralsund nicht signifikant länger als die nach Rostock 😉
Warum scheint es für Richter:innen so schlimm zu sein, anzuerkennen, dass Angeklagte den Eindruck von Befangenheit haben können? Wird das als Makel angesehen?