Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

1. März 2022

Geklebte Tüten

Wollte man in früheren Zeiten umschreiben, dass jemand im Gefängnis saß, sagte man: „Der ist Tüten kleben.“ Mit solchen einfachen Tätigkeiten wurden Strafgefangene beschäftigt.

Es überrascht nicht, dass auch heute noch, also im digitalen Zeitalter, Gefangene mit dieser Art der Bastelei vor dem Knastkoller bewahrt werden sollen.

So sieht es aus, wenn eine Staatsanwaltschaft aus Nordrhein-Westfalen dem Verteidiger die Akteneinsicht gewährt:

In der Justizvollzugsanstalt Bochum stellen Gefangene solche praktischen Umschläge her, mit denen das Eigentum der Staatsanwaltschaft in Papierakten abgeheftet werden kann.

Aber die Zeit ist nicht stehen geblieben. In vielen Vollzugsanstalten beschränkt sich die Arbeit heute nicht mehr auf das stumpfe Zusammenkleben, sondern es wird durchaus qualifizierte Handwerksarbeit abgeliefert. Im Knastladen beispielsweise gibt es ein reichhaltiges Angebot.

Die Arbeit von Gefangenen ist jedoch ein Thema das schon lange in der Kritik steht. Im SPIEGEL aus dem Jahr 1965 liest man:

Der Anwalt Wolfgang Schelte, 45, aus Unna in Westfalen sieht ständig »das grinsende Gesicht des römischen Sklavenhalters« vor sich. Die Alptraum-Fratze gehört dem Staat.

Denn laut Schelte herrschen in Westdeutschlands Strafanstalten »Zustände wie im alten Rom“: Der Staat beute die Arbeitskraft der- Häftlinge aus und kassiere deren Lohn bis auf einen Bettelpfennig.

aus DER SPIEGEL 47/1965

Daran hat sich bis heute im Grundsatz relativ wenig geändert. So kritisiert die Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO):

Auch Gefangene müssen arbeiten, und das oft für unter 10€ am Tag. Dass im Knast Arbeitnehmerrechte gelten und somit auch der Mindestlohn von 8,50 Euro, wird zwar von der Justiz vehement bestritten – mit dem Argument, bei der Arbeit von Gefangenen handle es sich um Resozialisierung, nicht um ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis.

https://ggbo.de/ziele/

Dem Argument, die Kunden des Knastladens unterstützen die Ausbeutung der Gefangenen, steht entgegen, dass die Arbeit in den Anstaltswerkstätten oft die einzige Möglichkeit für einen Knacki ist, aus seiner Zelle herauszukommen, einer geregelten Arbeit nachgehen zu können und andere Lockerungen in Anspruch nehmen zu können.

In der bayerischen JVA Bernau gibt es eine Schmiede; wenn man den Dialekt versteht, bekommt man ein paar Hintergründe geliefert, die die Ausbeutung der Arbeiter relativieren können:

Die in dem Clip gezeigte handgeschmiedete Stielpfanne gibt es im Knastladen Haftsache.

Braten wie zu Omas Zeiten: Schmiedeeiserne Pfannen haben eine lange Tradition, werden aber aufgrund ihrer aufwendigen Fertigung heute kaum mehr hergestellt. In der Schlosserei der JVA Bernau lebt die alte Handwerkskunst wieder auf.

https://www.haftsache.de/kueche/171/stielpfanne

Sie ist übrigens eine echte Alternative zu dem beschichten Zeug, das nicht selten in Billiglohnländern hergestellt wird.

Beitragsbild: Tütenkleben, JVA Siegburg

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