Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

21. Dezember 2020

Gefakte Maskerade

Atteste, die von der Pflicht befreien, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, sind in vielen Fällen medizinisch nicht geboten. Dennoch es gibt Ärzte, die solche Zeugnisse aus Gefälligkeit (oder gegen Honorar), aber nicht wegen medizinischer Notwendig ausstellen. Was sagt eigentlich das Strafgesetzbuch dazu?

Diese ärztlichen Ausweise sollen dem Inhaber freies Atmen auf Demos, in Supermärkten und Fußgängerzonen ermöglichen. Der Arzt, der einem Demonstranten, Kunden und Einkaufsbummler einen solchen nicht notwendigen Freifahrtschein ausstellt, macht sich aber nicht in jedem Fall gleich strafbar.

Das Gesetz

Wann so ein ärztlich ausgestelltes Fake-Attest ein Fall für den Staatsanwalt wird, regelt das Gesetz in § 278 StGB.

Der echte Arzt

Grundlegend ist zunächst, dass es sich um einen echten Arzt handelt, der ein falsches Zeugnis ausstellt. Der Fake-Medizinmann wird in § 277 StGB behandelt; der soll hier jedoch nicht das Thema sein.

Das falsche Attest

Das Attest ist falsch, wenn der „Patient“ auch mit Maske atmen kann und nicht früher oder später tot umfällt, weil er sich ein Stück Stoff oder Papier vor Mund und Nase gehängt hat. Selbstverständlich gibt es solche Fälle; die sind jedoch die seltene Ausnahme.

Die fehlende Untersuchung

Liebe Ärzte, unrichtig ist die Bescheinigung übrigens auch schon dann, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustandes erforderliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde!

Der Knackpunkt

Nun kommt aber der Knackpunkt beim § 278 StGB. Der Arzt muss das Attest wider besseres Wissen

zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft

ausgestellt haben.

Die Verteidigung

An dieser Stelle setzt die Verteidigung an. Wenn der „Patient“ seinem Arzt glaubhaft versichern konnte, dass er dieses Fake-Attest nur als Eintrittskarte in den Supermarkt oder in die Kneipe braucht, und der Arzt sich darauf verlassen durfte, liegt eine Strafbarkeit nicht vor.

Anders sieht es hingegen aus, wenn es dem „Patienten“ um die Teilnahme an einer Demonstration geht oder um den Bummel über die Fußgängerzone, in der es eine behördlich angeordnete Maskenpflicht gibt. Der Polizeibeamte, der den Maskenlosen anspricht, ist die Behörde, von der in der Vorschrift die Rede ist.

Der Blick ins Wissen und Wollen

In solchen Fällen muss der Staatsanwalt bzw. später der Richter dem Arzt hinter die Stirn schauen.

Bei der medizinischen Indikation ist der Blick in diese Richtung in der Praxis meist unproblematisch: Wenn es beispielsweise an einer Untersuchung fehlt, weil der Arzt das telefonisch georderte Attest mit der Post an den Patienten geschickt hat, schreibt der Ermittler hinter dem Punkt „wider besseres Wissen“ ein „(+)“.

Der bedingte Vorsatz

Aber hat der Arzt auch gewusst, dass sein Patient mit dem Zettel gegen behördliche Auflagen verstoßen will und wird? An dieser Stelle greift die Strafverfolgung in die Mottenkiste und bedient sich des für solche Fälle altbewährten „bedingten Vorsatzes“. Es reicht also aus, wenn der Doc ahnt, dass der Patient unmaskiert auf die Corona-Demo will und ihm, dem Arzt, dies egal ist. Dann liegen Vorsatz und Strafbarkeit zweifellos vor.

Wie kann der Doktor diesen Vorwurf also ausschließen? Auf einer relativ sicheren Seite ist er wohl dann, wenn er in das Attest aufnimmt, dass es nicht zur Vorlage bei einer Behörde (d.h. auch beim Gericht, § 11 Ziff. 7 StGB) oder bei einem Versicherer bestimmt ist.

Das ärztliche Berufsrecht

Soweit das Strafrecht. Dann gibt es aber auch noch das ärztliche Berufsrecht, das ein Füllhorn von verschiedenen (meist heftig ins Geld gehende) Sanktionen zur Verfügung stellt, um dem Falschaussteller auf die Finger zu klopfen.

Der „Patient“

Abschließend noch ein Blick auf das Gegenstück – auf den Besteller und Nutzer des Fake-Attests. Für den hat sich der Gesetzgeber den § 279 StGB ausgedacht. Der Demoteilnehmer, der dem Polizeibeamten den falschen Zettel unter die maskenbedeckte Nase hält, kassiert unproblematisch die dafür vorgesehene Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Wenn der Polizist einen echten Zettel mit der Überschrift „Strafanzeige“ ausfüllt.

Die Lösung

Diesen ganzen Zirkus kann man sich übrigens sparen, wenn man sich diese Masken über die Nase stülpt. Ich hab’s probiert: Es tut nicht weh und hinterlässt auch keine Spuren. Nebenbei hat das auch noch andere positive Effekte, besonders für die Mitmenschen.

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13 Kommentare

  • Peter83 sagt:

    Moin,
    meinen Sie der Arzt kann in eine Strafbarkeit rutschen, wenn man die Leistung „Attest erstellen“ bei der Krankenkasse abrechnet, insb. wenn er vorsätzlich ein falsches Attest ausstellt.

  • Timo sagt:

    Aber wenn man die Maske verschluckt, könnte man daran ersticken!!!1!!

  • Das Ich sagt:

    @ Timo: ja, man könnte an der Maske ersticken, aber das passiert auch nur Leuten, die, wenn sie bei Regen den Mund aufmachen auch ertrinken;)

  • Der Arztsohn sagt:

    @Timo: wenn man die Maske verschluckt, hat man diese ja in der Speiseröhre. Man sollte dann noch atmen können.

    Im Übrigen hört man ja ständig davon, dass Ärzte in OPs an Rückatmung sterben. Wie die Fliegen. 20 stündige Herz-OPs werden deswegen ja nur noch mit 200 Chirurgen durchgeführt, da ja einer nach dem anderen an Rückatmung verstirbt. Und diese dummen Ärzte tragen die ja auch immer noch doppelt im OP.

    Ich glaube deswegen haben wir so eine Knappheit bei den Mediziner. Und keine möchte mehr Chirurg werden.

  • Timo sagt:

    @Der Arztsohn

    Das kann man nicht vergleichen!! Ärzte haben in ihrem Studium 6 Jahre lang gelernt, wie man eine Maske richtig trägt!!111!1!!1

  • Stefan sagt:

    Zwei Anmerkungen:

    1. „Das Attest ist falsch, wenn der „Patient“ auch mit Maske atmen kann und nicht früher oder später tot umfällt, weil er sich ein Stück Stoff oder Papier vor Mund und Nase gehängt hat. Selbstverständlich gibt es solche Fälle; die sind jedoch die seltene Ausnahme.“

    Der Patient muss sicher nicht erst mit dem Tode bedroht sein. Ich denke da an Angst- und Panikstörungen oder geistig behinderten Menschen. Etwas mehr Respekt gegenüber diesen reellen Fällen ist sicher angebracht, bei aller berechtigten Verärgerung über Fakeatteste.

    2. Wo sind eigentlich die massenweisen Ermittlungsverfahren gegen MDK-Gutachter/innen, die regelhaft Begutachtungen „ zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft“ erstellen und den Patienten nicht einmal gesehen haben?

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Ich wage zu behaupten, dass jemand dessen Lungenfunktion so eingeschränkt ist, dass ihn so eine Maske daran hindert, genug Druck aufzubauen um ausreichend Atemluft einsaugen zu können, sowieso schon an einem Beatmungsgerät hängt. Und dann kann’s auch egal sein, wenn man dadrüber noch eine Maske trägt.

  • Stefan sagt:

    @ WPR_bei_WBS: dass es auch andere medizinische Indikationen gegen das Tragen eines MNS gibt – gerade aus dem psychiatrischen Spektrum – ist Ihnen bekannt?

  • L. sagt:

    Danke für den Artikel.
    Wie sieht es denn aus, wenn die Maske wegen Attest nicht auf der Arbeit getragen wird? Trotz Körperkontakt zu Patienten und Kollegen. Ist ja in der Pflege nicht anders möglich.
    Und wer schützt mich und unsere Tagesgäste dann vor der Maskenverweigerin?

  • chlorophyllosoph sagt:

    Komisch, ich kann das Tatbestandsmerkmal „ohne Untersuchung“ gar nicht im § 278 StGB finden.

    • Das mag daran liegen, dass Ihnen die grundlegenden Suchwerkzeuge fehlen, die ein Strafverteidiger im Laufe der Aus- und Fortbildung zu nutzen gelernt hat. Hier sind ein paar Ideenlieferanten, die Ihnen aufzeigen, wie man den Sinn des Wortes „unrichtig“ richtig interpretiert:
       
      RGSt 74, 229 (231); BGHSt 6, 90; BGH NStZ-RR 2007, 343; OLG Frankfurt a. M. StV 2006, 471 (472); NJW 1977, 2128; offengelassen von OLG Zweibrücken NStZ 1982, 467; OLG München NJW 1950, 796; LG Köln BeckRS 2016, 118308; LK-StGB/Zieschang Rn. 6, 7; Spernau, Der Begriff der öffentlichen Urkunde im Strafrecht, 2005, 88; Leifeld NZV 2013, 422 (424); aA SK-StGB/Hoyer Rn. 2; NK-StGB/Puppe/Schumann Rn. 2; Ulsenheimer Rn. 914
       
      Melden Sie sich wieder, wenn Sie mit der Lektüre durch sind. Dann reden wir weiter. 😉 crh
  • Fry sagt:

    Ist das ärztliche Berufsrecht eigentlich bindendes Recht, oder mehr so eine Art Vereinsregelung innerhalb der Ärzteschaft? Mit anderen Worten, kann ein Arzt für einen Verstoß gegen ärztliches Berufsrecht zivil- oder strafrechtlich belangt werden, oder ist der worst case einfach der Verlust der Kassenzulassung?

    • Die Grundlagen sind jeweils in LandesGESETZEN verbindlich geregelt, so beispielsweise in Berlin im Berliner Heilberufekammergesetz (BlnHKG). Es enthält Regelungen zur Mitgliedschaft, Fort- und Weiterbildung, zum Berufsrecht sowie zur Kammerverfassung. Einige Regelungen gelten bereits kraft Gesetzes, also unmittelbar, andere müssen erst durch die Ärztekammer Berlin umgesetzt werden, das ist in der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin der Fall.
      Bei Berufsrechtsverstößen wird nach §§ 57 BlnHKG verfahren; wenn Strafrecht eine Rolle spielt (z.B. der § 278 StGB) hat das Strafverfahren grds. Vorrang, § 58 BlnHKG. Zivilrecht (z.B. Arzthaftungsrecht) und andere Rechtsgebiete (Sozialrecht, Versicherungsrecht …) bleiben davon unberührt.
      Alles schon an der Oberfläche nicht so einfach. Um so unverständlicher ist es, dass der Absender des oben zitierten Schreibens nicht sofort einen sachkundigen Verteidiger mit der Beratung und Vertretung beauftragt hat, als die Polizei ihm mitteilte, dass gegen ihn strafrechtlich ermittelt werde. crh
  • Fry sagt:

    @crh: danke für Ihre Mühen, meine Frage zu beantworten. Als Laie muss ich leider sagen, bin ich „so klug als wie zuvor“. Die Antwort scheint zu sein: kommt drauf an… 🙂

    • Es ist kompliziert, ja. Aber glücklicherweise gibt es Juristen bzw. Strafverteidiger, die sich damit auskennen. 😉 crh