Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

3. Mai 2021

Abschreckende Verteidigung

Ein Verteidiger, der die Interessen seines Mandanten nicht wahrnimmt, sondern ihn verrät, gehört eigentlich aus dem Verkehr gezogen. Sowohl das Berufsrecht, als auch das Strafrecht stellen die dazu notwendigen Instrumente zur Verfügung.

Strafverfahren, in denen es mehrere verteidigte Beschuldigte gibt, bieten oft auch die Gelegenheit zur Fortbildung.

Jeder Verteidiger hat seinen eigenen Stil und verfügt über besondere Kompetenzen, die sich im besten Falle gegenseitig ergänzen. Am meisten habe ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf diesem Wege von erfahrenen Mitverteidigern gelernt.

Aber es gibt auch abschreckende Beispiele. Dieses Fundstück aus einer Gerichtsakte ist eine solche Abschreckung:

Vermerk v. 15. Juni ****
Anruf RA ****: Er hat keinen Kontakt zum Angeklagten. Eine Handy-Nr. sei abgemeldet, auf E-Mails reagiere er nicht. Ich erkläre, den Termin v. 19. Juni **** aufzuheben.

Was bis dahin geschah

In diesem Verfahren vor dem Schöffengericht in einer westdeutschen Kleinstadt hatte zunächst ein Fachanwalt für Strafrecht verteidigt, dessen Kanzlei quasi in der Nachbarschaft des Gerichts liegt. Ich mutmaße, der Richter und der Verteidiger werden sich nicht nur aus dem Gerichtssaal, sondern auch aus dem örtlichen Turnverein oder aus gemeinsamen Abenden in einer der wenigen Kneipen des Städtchens kennen.

Der Kollege war dem Angeklagten zum Pflichtverteidiger bestellt. Von eben diesem Richter. Zwischen ihm und dem Richter war der Termin zur Hauptverhandlung abgesprochen worden. Vier Tage vor dem Termin ruft dieser Verteidiger seinen Sportsfreund, also den Richter, an und teilt ihm seine Sorgen mit: Sein Mandant ist weg.

Der Richter schreibt den Vermerk zur Akte, hebt den Termin auf und … auch das gehört zu seiner Aufgabe … er informiert die Staatsanwaltschaft.

UmA (urschriftlich mit Akte) an StA zur Stellungnahme

Und dann passiert das, was (erst Recht für einen erfahrenen Verteidiger) vorhersehbar ist und passieren muss:

Diese Fahndung war nicht „erfolgreich“, vielleicht auch deswegen, weil der gesuchte Angeklagte sich einen neuen Verteidiger gesucht hat, dem er vertrauen und auf den er sich verlassen konnte.

Fundamente einer Verteidigung

Vertrauen und Zuverlässigkeit sind das Kapital, von dem ein Strafverteidiger lebt. Auf der Grundlage dieser Bausteine ruht eine jede Verteidigung. Das, was der Kollege mit seinem Ex-Mandanten gemacht hat, zerstört diese Basis. Der Mandant fühlte sich verraten – zu Recht, wie ich meine.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass es ohnehin später zur Fahndung des Angeklagten gekommen wäre, weil er nicht zum Termin erschienen ist. Es sind diese Mandats-Interna, die der Kollege dem Richter mitgeteilt hat. Und zwar augenscheinlich auch noch eigeninitiativ: Dem Aktenvermerk zufolge war es der Verteidiger, der den Richter über das Abtauchen des Angeklagten informiert und ihm die Details berichtet hatte – kein Kontakt, weder persönlich, noch per eMail oder telefonisch erreichbar.

Die Rechtslage

Es gibt berufs- und strafrechtliche Normen, die ein solches Verhalten untersagen und sanktionieren. § 43a Abs. 2 BRAO, § 2 BORA und schließlich § 203 StGB sollen das Vertrauen des Mandanten in seinen Anwalt schützen. Gegen dieses Berufsrecht hat der Kollegen verstoßen; strafbar ist sein Verhalten nur deswegen nicht, weil sein Mandant keinen Strafantrag (§ 205 StGB) gestellt hat.

Ich kenne die Motive des mir unbekannten Kollegen nicht. Vielleicht liest er hier ja mit und tritt dem Eindruck entgegen, dass er sich von diesem Anruf weitere Pflichtverteidigungen verspricht, auf die er aus wirtschaftlichen Gründen angewiesen ist.

Rechtmäßiges Alternativverhalten

Dabei hätte überhaupt nichts dagegen gesprochen, ohne den Angeklagten zum Termin zu erscheinen. Auf die dann zu erwartende Frage des Richters: „Wo ist Ihr Mandant?“ gibt es eine passende salomonische, mehrdeutige Antwort: „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Auch ein schlichtes Heben der Schultern wäre auf jeden Fall eine zulässige Alternative zum Verrat.

Good Cop, Bad Cop

Es spricht nichts gegen und vieles für eine gepflegte Beziehung zwischen Richtern und Rechtsanwälten. Aber es gibt auch Gründe dafür, sich einen auswärtigen Verteidiger zu suchen – gerade wegen dieser möglichen Verstrickungen. Sehr gut funktioniert die Kombination aus beidem: Ein ortansässiger und dem Richter zugewandter Verteidiger, und ein auswärtiger Mitverteidiger, der auf gepflegte Beziehungen keine Rücksicht nehmen muss. Bei Polizisten haben sich solche Teams bewährt.

Bild von ludi auf Pixabay

7 Kommentare

  • Berti sagt:

    Reichlich viel Spekulation zum Verhältnis zwischen Anwalt und Richter.

    • Nun, meine „Spekulation“ findet ihre Grundlage in den Akteninhalten und in den Mitteilungen meines Mandanten. crh

    Mal eine eine andere Perspektive: Vielleicht ist dem Mandanten wegen der offenen Kommunikation des Verteidigers der Haftbefehl erspart geblieben.

    • Worauf gründet Ihre „Vielleicht-„Spekulation? Ich gebe Ihnen aber gern noch den Hinweis, dass es selbstverständlich einen 112er Haftbefehl gab (und nicht nur ein 230er!). crh
  • Johannes sagt:

    @Berti: Ich bin ja kein Jurist, aber… 😉
    …auf mich wirkt der „Antrag auf Ausschreibung zur Personenfahndung“ durchaus wie die Beantragung eines Haftbefehls.

    • Das sind grundsätzlich schon zwei verschiedene Paar Schuhe. Aber am Ende läuft und lief es auf’s Gleiche hinaus. crh
  • Berti sagt:

    Und den eigentlich so wesentlichen Umstand, dass es für den Mandanten sogar noch einen Haftbefehl gab, lassen Sie in der ersten Schilderung so einfach weg, teilen aber die (bloße) Ausschreibung in INPOL mit? Sehen Sie es mir nach, dass ich das nicht unbedingt glauben kann.

    • Sorry; künftige Blogbeiträge werde ich Ihnen vorab im Entwurf zukommen lassen, damit ich Ihre Gedanken und Spekulationen noch einarbeiten kann. crh
  • Flo sagt:

    @Berti, was heißt weglassen. Ja der Haftbefehl wird nicht explizit erwähnt, aber zusammenreimen konnte man sich den durchaus. Ein Angeklagter der vor der Verhandlung für seinen Anwalt nicht mehr erreichbar ist, da ist doch quasi die Fluchtgefahr als Haftgrund auf dem Silbertablett serviert.

  • Barti sagt:

    Bei uns im Anwaltverein werden auch die Richter, obere Polizeischicht usw. eingeladen. Eine Staatsanwaltschaft gibt es hier nicht, denn sonst wären auch die natürlich dabei.
    Es sind allerings nicht alle im Anwaltverein.

    Gerade hier ist mir aber ein örtlicher Pflichtverteidiger begegnet, der sich bemühte diese Gebiet des Strafrechts zu vestehen.

    An einem anderen Gericht (Man spricht dort von einem falimilären Verhältnis der Richter und Staatsanwälte als „Wohlfühlklima“ und „Glücksfall“ zum Wohle der Bürger) waren die Erfahrungen mit 2 örtlichen Pflichtverteidigern fachlich miserabel. Es ging nur darum den Willen der Richter und Staatsanwaltschaft familiär zu entsprechen.

    Auch zivilrechtlich sind mir nur Anwälte begegnet, die die örtlichen Richter nicht verärgern wollten, wenn Richter zB. eine falsche Rechtsansicht vertreten haben und diese dann eben nicht darauf hinweisen wollten.

  • Barti sagt:

    >Ein ortansässiger und dem Richter zugewandter Verteidiger, und ein auswärtiger Mitverteidiger, der auf gepflegte Beziehungen keine Rücksicht nehmen muss.

    Das habe ich beim letzten mal selbst gemacht. Da habe ich voll die Konfrontationsverteidigung gemacht und den Richter voll auf alles hingewiesen was er rechtlich falsch erklärte und was seine Kollegen auch von der StA falsch gemacht haben und habe ihm auch die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgehalten aus der sich keine Straftat meinerseits ergab.
    Ich sollte natürlich zwanghaft verurteilt werden, weil sich Richterkollegen und die familiäre Staatsanwaltschaft das so wünschte.
    Die mehrfache richterliche Aussage: „Ja, dann nehmen wir das jetzt einfach mal so hin!“ wurde immer ärgerlicher.
    Leider kam ich nicht mehr dazu ihn zu fragen warum mich begünstigende Umstände immer nur einfach mal so dahingenommen werden und nie wieder auftauchen werden und belastende Umstände als Tatsache festgestellt werden und nur diese auf dem Papier stehen oder erscheinen.

    Allerdings hat da auch etwas stattgefunden was man Verhandlung nennen kann. Bei der Richterin zuvor in der Hauptverhandlung wurde alles vom Angeklagten erklärte komplett ignoriert und eine gewollte Strafbarkeit war automatisch gegeben.

    Das mein örtlicher Pflichtverteidiger wieder lieblich mit den Richtern umgeht um deren Wünschen zu entsprechen war mir klar. Er wies mich auch einmal darauf hin, dass ich den Richter nicht so mit dem zitieren höchstrichterlicher Rechtsprechung verärgern solle. Er kam dann auf den Gedanken in einer Verhandlungspause mit dem Richter zu sprechen. Ich zahle ein Drittel der zu erwartenden Strafe und das Verfahren wird eingestellt. Dabei trägt die Staatskasse auch noch die eigenen Kosten.
    Das wurde dann so gemacht. Nur der StA wollte nicht so wirklich.
    Warum das ganze, wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung keine Strafbarkeit ergibt? Die Staatsmacht sitzt einfach am längeren Hebel und das dann auch noch in deren Justiz wo sie alle familiär kollegial als „Wohlfühlklima“ zusammen arbeiten um auch keinen Kollegen zu verärgern.
    Es solches Justizsystem taugt schon nichts.

    Das ganze funktioniert allerdings auch wiederum nicht ohne anwaltliche Vertretung, denn als Bürger kann man nicht einfach mal so mit dem mindestens kollegial-bekannten Richter in einer Verhandlungspause sprechen oder überhaupt einen solchen Vorschlag in der Verhandlung anbringen. Das wird auch noch nie jemand erlebt haben. Für so eine Dreistigkeit gibt’s eher noch einen oben drauf.

  • Samuel Reiners sagt:

    Gäb’s nicht sogar noch ne Termingebühr für den Pflichtverteidiger extra, wenn er den dann geplatzten Termin wahrgenommen hätte?