Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

29. März 2021

Cum Warnung – Ex Angeklagter

Eine unzulässige Warnung durch die Richterin an den Angeklagten, ihn zwangsweise vorführen oder verhaften zu lassen, wenn er der Ladung zum nicht zum Termin erscheint, führt zum Fehlstart des Strafprozesses.

Vor dem Landgericht Wiesbaden sollte am 25.03.2021 der Strafprozess um die Cum-Ex-Geschäfte beginnen.

Dazu hatte die Vorsitzende Richterin u.a. den angeblichen Spiritus Rector der Geschäftsidee, Dr. Hanno Berger, geladen. Herr Dr. Berger lebt in einem kleinen Dörfchen im Kanton Graubünden, also in der Schweiz. Die Ladung ging daher von Wiesbaden ins Ausland.

Nach einem Bericht des Handelsblatts stellte die Vorsitzende nach Aufruf der Sache trocken fest: „Hier in der Mitte ist ein Platz frei.“ Der geladene Angeklagte glänzte durch Abwesenheit.

Das wird sich auch nicht ändern. „Wir teilen mit, dass Herr Dr. Berger nicht erscheinen kann und wird“, sagt sein Strafverteidiger, Sebastian Gaßmann. Dann sagt er, Berger sei nicht ordnungsgemäß geladen worden. Ihm sei angedroht worden, ihn notfalls vorzuführen. Das sei unzulässig, da Berger in der Schweiz lebe. Die angedrohten Zwangsmaßnahmen würden die Souveränität der Schweiz verletzen.

Handelsblatt vom 25.03.2021

Was war passiert?

Das Gericht hatte Herrn Dr. Berger schriftlich geladen und ihn dabei gewarnt, …

… daß im Falle seines unentschuldigten Ausbleibens seine Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde.

§ 216 Abs. 1 S. 1 StPO

Bei im Inland lebenden Angeklagten darf (und muss) eine solche Warnung erfolgen. Erscheint der dann auch im Übrigen ordnungsgemäß geladene Angeklagte nicht, kann das Gericht seine Vorführung anordnen oder einen Haftbefehl erlassen, § 230 Abs. 2 StPO.

Die Anordnung oder der Haftbefehl können jedoch nur auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt (hier: die zwangsweise Vorführung oder Verhaftung) auf dem Gebiet eines fremden Staates ist ausgeschlossen.

Damit ist auch die Vorführungs- und Haft-Warnung unzulässig. Jedenfalls dann, wenn sie – wie hier – uneingeschränkt erfolgt. Im Schengen-Raum dürfen diese Zwangsmittel allenfalls dann ausnahmsweise angedroht werden, wenn einschränkend darauf hingewiesen wird, dass diese nur im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden können.

Einen solchen Hinweis hatte die Vorsitzende in der Ladung jedoch vergessen.

Die Verteidigung von Herrn Dr. Berger reklamiert daher zutreffend, die Ladung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Darauf, ob sie dadurch auch komplett unwirksam ist, kommt es nicht an. Eine Vorführung oder gar die Verhaftung des Herrn Dr. Berger auf der Grundlage des § 230 Abs. 2 StPO wäre unzulässig, selbst wenn sie grundsätzlich möglich wäre.

Alternativer Haftgrund

In anderen Fällen weicht die Strafjustiz dann oft aus auf die Unterstellung, der Angeklagte wolle sich durch sein Nichterscheinen dem Verfahren durch Flucht entziehen. Das wäre dann die Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls nach § 112 StPO. Und der kann dann in Gestalt eines internationalen oder europäischen Haftbefehls grundsätzlich auch im Ausland vollstreckt werden – aber auch „nur“ durch die ausländischen Behörden.

Im Fall des Herrn Berger erübrigt sich dieser trickreiche Weg jedoch. Ein 112er Haftbefehl ist Medienberichten zufolge bereits in der Welt. Allerdings vollstreckt die Schweiz (deutsche) Haftbefehle wegen Steuerstraften nur in Ausnahmefällen. Und eine solche Ausnahme ist bislang noch nicht bestätigt worden. Im Moment ist die Schweiz für den Angeklagten also eine sichere Alternative zur Untersuchungshaftanstalt.

To be continued

An dieser Stelle zieht das Landgericht Wiesbaden die Reißleine. Sie trennt das Verfahren gegen Herrn Dr. Berger ab und verhandelt ohne ihn gegen die erschienenen Angeklagten.

Irgendwann, wenn es der Terminkalender der Strafkammer dann wieder zulässt, werden neue Termine zur Hauptverhandlung gegen Herrn Dr. Berger festgesetzt. Dann kann die Vorsitzende das mit der Ladung des Angeklagten mit Auslandswohnsitz noch einmal üben.

Bild von loveombra auf Pixabay

11 Kommentare

  • Berti sagt:

    Aber worin besteht dann genau der Unterschied zu dem Fall, dass er korrekt geladen worden wäre, aber wegen allgemeiner Unlust nicht erschienen, sondern in der Schweiz geblieben wäre? Dann wäre sein zwangsweises Zuführen ja genausowenig möglich gewesen.

  • Jakob sagt:

    Andere Frage am Rande: Kann der Angeklagte verpflichtet werden, sich einem Corona-Test zu unterziehen, wenn er ohne (negativen) Test nicht (legal) einreisen und damit auch nicht an dem Prozess teilnehmen kann?

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Selbst Schuld – wer wäre denn auch so blöd, in einer derartigen Situation bei bestehendem Haftbefehl nach Deutschland einzureisen? Also selbst wenn man willig wäre, am Prozess teilzunehmen, lässt man es bei dieser Konstellation doch logischerweise bleiben.

    • Es gibt Konstellationen, in denen die Selbststellung bzw. die Anreise zum Hauptverhandlungstermin trotz offenen Haftbefehls sinnvoll ist – z.B. um glaubhaft zu machen, dass der Angeklagte sich dem Verfahren nicht durch Flucht entziehen will. Ziel ist es in solchen Fällen, eine unvorbereitete Verhaftung zu vermeiden und die Reisefreiheit wiederzugewinnen. Oder auch „nur“, um damit Einfluss auf das Strafmaß zu nehmen.
       
      Wie es in dem konkreten Fall hier aussieht, vermag ich mangels Detailkenntnissen nicht zu beurteilen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass weder der Angeklagte noch seine Verteidiger „blöd“ sind.
      crh
  • Patenter Anwalt sagt:

    Wie ich den Medien entnommen habe, lautet der Vorwurf daher auch auf Betrug, um eine Auslieferung durch die Schweizer Behörden zu ermöglichen, die ja – wie beschrieben – bei Steuerstraftaten kaum ausliefern (und recht haben sie, wenn es mir bei diesem Fall auch nicht gefällt ;-)).

    • Die für die Auslieferung zuständigen Schweizer Behörden prüfen den Sachverhalt nach eigenen Kriterien. Ich bin überzeugt, dass diese erkennbar tendenziöse Konstruktion des „gewerbsmäßigen Bandenbetrugs“ durch Begehung einer Steuerstaftat nicht nur in der Schweiz, sondern auch bei unseren Gerichten keinen Bestand haben wird. crh
  • chlorophyllosoph sagt:

    Herr Berger ist bei Kubicki und Gatzweiler in guten Händen (lt. Wikipedia).

  • Gerd Oichnixohn sagt:

    Irgendjemand muss mir nochmal erklären, wo da die Gerechtigkeit ist, wenn ein Herr Doktor, der bereits mit (legaler) Steuervermeidung ein Vermögen gemacht hat und dem nun milliardenschwere illegale Steuertricksereien vorgeworfen werden, weiter in der Schweiz Champagner schlürfen darf, während die kleinen, gelegentlich mal schwarz abrechnenden Handwerker oder Imbissbudenbesitzer, die vielleicht ein Tausendstel dieses Schadens anrichten, die volle Wucht des Justizapparates zu spüren kriegen.

    • Es ist nicht sinnvoll, den Begriff „Gerechtigkeit“ in einen Zusammenhang mit „Steuern“ zu bringen, wenn man Rücksicht auf die psychische Gesundheit nehmen möchte. crh
  • chlorophyllosoph sagt:

    @Gerd Oichnixohn,

    es gibt keine „Gerechtigkeit“ im Unrecht.

  • Der wahre T1000 sagt:

    @chlorophyllosoph: Offensichtlich gibt es aber eine Ungerechtigkeit im Unrecht. Waehrend der kleine Handwerker fuer ein wenig Schwarzarbeit richtig drangenommen wird, kommen auch die Millionenbetrueger mit Bewaehrungsstrafen davon. Was ich sagen will: die Strafen unterscheiden sich nur marginal, die Straftaten jedoch sehr. Selbst Kriminelle wie Hoeness (schreibt man den so?), die im deutlich 2-stelligen Millionenbereich Steuern hinterziehen, sind nach ein paar Monaten auf Freigang, waehrend kleine Fische real laenger einsitzen.

  • meine5cent sagt:

    @wahrer T1000
    Hoeness wird immer gerne als Beispiel für bevorzugte Behandlung herangezogen und dann gerne umgerechnet, was man für 100.000 Steuerhinterziehung bekommen müsste (in FFM wurde es für bandenmäßige Umsatzsteuerhinterziehung mit CO2-Zertifikaten ohne jede Schadenswiedergutmachung mit 145 Mio Schaden übrigens umgerechnet in Haftdauer pro Euro noch günstiger…)
    Das geht an der Sache vorbei. Ich würde wetten, dass die Selbstanzeige von Hoeness in dem einen oder anderen Bundesland stillschweigend als wirksam behandelt, die Nachzahlung eingestrichen und gar kein Strafverfahren eingeleitet worden wäre. Oder man hätte sie als halbwegs wirksam angesehen, nach 170 eingestellt. Oder einen teuren 153a.
    In manchen Bundesländern (gerüchteweise NRW und Berlin) geht auch der kleine Handwerker und selbst der mittelgradig Kriminelle mehr oder weniger sofort in den offenen Vollzug, das ist unter anderem ein Grund für Wohnsitzverlegung vor Selbststellung.

  • Wieder ein sehr interessanter Blog-Beitrag! Mit freundlichen Grüßen aus Köln