Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

25. Januar 2021

Schlecht beraten?

Die Beratung einer Strafkammer nach dem Ende der Beweisaufnahme ist geheimnisvoll. Was die Richter hinter den verschlossenen Türen der Beratungszimmer besprechen, bleibt im Verborgenen. Manchmal gibt es aber Anlass zu Spekulationen.

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Limburg hat die Eltern einer kranken und behinderten Tochter wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor die Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen beantragt. Und gegen das Urteil Revision eingelegt.

Beratungsgeheimnisverrat

Bemerkenswert war an diesem Verfahren zunächst, dass Interna aus der Urteilsberatung mitgeteilt (verraten?) wurden. § 43 DRiG verordnet Stillschweigen, § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt den Verrat des Beratungsgeheimnisses unter Strafe.

In aller Regel liefert allenfalls die Dauer der Beratungspause einen Hinweis darauf, wie eindeutig die Entscheidung der richterlichen Therapiegruppe ausgefallen ist.

Hier wurde jedoch bekannt: Von den fünf Richtern der großen Strafkammer – drei Berufsrichter und zwei Schöffen, § 76 GVG – hätten nur drei Richter für den Totschlag gestimmt, zwei Richter für die fahrlässige Tötung.

Keine Zweidrittel für den Totschlag

Für eine Verurteilung der Eltern wegen Totschlags wäre jedoch eine Zweidrittelmehrheit erforderlich gewesen, § 263 Abs. 1 StPO. Es hätten also vier Richter der Kammer für eine Verurteilung wegen Totschlags stimmen müssen. In diesem Fall reichte es also „nur“ für eine fahrlässige Tötung.

Mängelbericht in der Revisionsverhandlung

In der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revison erörterte der Bundesgerichtshof die Qualität des Urteils in einer mündlichen Verhandlung.

Soweit bekannt wurde, attestierten die Bundesrichter dem Urteil ungewöhnlich grobe Mängel, die erfahrene Berufsrichtern einer Schwurgerichtskammer eigentlich nicht mehr machen sollten. Ebenso wenig wie ein Feinmechaniker nicht versuchen wird, eine Schraube mit dem Hammer ins Gewinde zu bringen.

An dieser Stelle fragt sich der Beobachter nun, ob dieser handwerkliche Murks von den Berufsrichtern bewusst gemacht wurde, um damit quasi eine Sollbruchstelle in die Urteilsbegründung einzubauen.

Denkbar wäre folgendes Szenario

Nach der Beratung über das Ergebnis der Beweisaufnahme kommt es zur Abstimmung. Als erstes stimmen die beiden Schöffen ab (§ 197 S. 2 GVG), dann erst die Berufsrichter. Wenn die Laienrichter an dieser Stelle bereits den Totschlag verneint und für die fahrlässige Tötung gestimmt haben sollten, käme es auf das Abstimmungsverhalten der drei Professionellen nicht mehr an. Dann müsste der Vorsitzende das Urteil verkünden, gegen das er und die beiden anderen Richter gestimmt haben.

Da nun diese Entscheidung keinen Bestand haben soll, wird das Urteil mit solchen Fehlern geschrieben, die eine Aufhebung durch das Revisionsgericht wahrscheinlich bis sicher machen.

Fernliegende Trickserei?

Eigentlich sollte der Gedanke an eine solche Verfahrensweise eher fernliegend sein. Grundsätzlich würde ich den Richtern, die ich bisher kennen gelernt habe, so eine Trickserei nicht zutrauen.

Ausschließen kann ich das allerdings auch nicht, zumal mir die Mitteilung des Abstimmungsergebnisses (zwei zu drei) sehr suspekt erscheint.

Eine Notbremse in einem anderen Fall

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an ein Verfahren vor dem (mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzten) Jugendschöffengericht.

Alle professionellen Verfahrensbeteiligte – ich als Verteidiger, die Staatsanwältin, die Jugendgerichtshilfe und der Vorsitzende – waren sich nach der Beweisaufnahme über das Ergebnis einig. Als der Vorsitzende mit den Schöffen zur erwarteten Urteilsverkündung aus der Beratung kam, teilte er jedoch mit, dass das Verfahren ausgesetzt werden müsse, weil noch weitere Ermittlungen erforderlich geworden seien.

Auch dort hatte der Richter augenscheinlich die Notbremse gezogen und darauf gesetzt, in einem zweiten Durchgang mit anderen Schöffen verhandlen zu können.

Spekulation

Ob eine solche kreative Auslegung des formellen Rechts auch in Limburg stattgefunden hat, wird wohl Spekulation bleiben – es sei denn, ein im Examen gescheiterter Rechtsreferendar outet sich noch als Autor des Urteils.

Folgen

Welche katastrophalen Folgen das ganze Gebastel für die Eltern so oder so bereits jetzt schon hat und auch noch haben wird – unabhängig vom abschließenden Ergebnis des Verfahrens, ist leicht vorstellbar. Ein fairer Prozess war und wird das Verfahren nicht mehr.

Ausführlicher Bericht von Wolfgang Janisch in der Süddeutschen
Bild von Massimo Pischedda auf Pixabay

3 Kommentare

  • Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen

  • WPR_bei_WBS sagt:

    Drohen dem Vorsitzenden jetzt Konsequenzen aus § 353b StGB?

    So wie sich der Bericht in der Süddeutschen ließt, war er es ja, der das öffentlich gemacht hat.

    • Schicken Sie eine Kopie des Artikels an die zuständige Staatsanwaltschaft Limburg, erstatten Sie Strafanzeige und bitten Sie um Prüfung, ob strafrechtsrelevantes Verhalten vorliegt. Schicken Sie mir anschließend eine Kopie der Reaktion, dann schreibe ich gern einen weiteren Blogbeitrag zum Thema „Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte“. crh
  • Der wahre T1000 sagt:

    „Schicken Sie eine Kopie des Artikels an die zuständige Staatsanwaltschaft Limburg, erstatten Sie Strafanzeige und bitten Sie um Prüfung, ob strafrechtsrelevantes Verhalten vorliegt. Schicken Sie mir anschließend eine Kopie der Reaktion, dann schreibe ich gern einen weiteren Blogbeitrag zum Thema „Strafverfahren gegen Richter und Staatsanwälte“. crh“

    Ha ha ha. Genau. Findet nicht statt. Hätten Sie auch gleich sagen können. Was soll der fiese Sarkasmus?