Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

15. März 2021

Sitzordnung

Dem Strafprozess ist der Konflikt immanent. Denn dort begegnen sich widerstreitende Interessen, die zum Einklang gebracht werden müssen. Auch die Sitzordnung bietet nicht selten Anlass zum Streit zwischen Gericht und Verteidigung. Darum geht es in einer Entscheidung des 4. Senats des Bundesgerichtshofs (BGH) .

Wo der Angeklagte während einer Hauptverhandlung zu sitzen hat, ist für eine effektive Verteidigung entscheidend.

Arbeitsplatz

Die Innenarchtektur moderner Gerichtssäle berücksichtigen dies als eine wesentliche Voraussetzung für ein faires Verfahren. Ausreichend Platz für den (oder die) Verteidiger und dem Angeklagten ist dafür eine erste Grundlage.

Platzanweisung

Es gibt Situationen, in denen selbst bei ausreichender Größe des Tischs die Verteidigung eingeschränkt werden kann – zum Beispiel, wenn befürchtet wird, dass der Angeklagte zu fliehen oder zu randalieren versuchen könnte. Für diese Fälle gibt es im Kriminalgericht Moabit Käfige oder Vitrinen aus Panzerglas, in denen Angeklagte zur Schau gestellt vom Verteidiger getrennt sitzend dem Geschehen folgen müssen.

Besprechungen zwischen dem Verteidiger und seinem Mandanten sind dann nur sehr eingeschränkt möglich.

Zuschauer statt Prozesssubjekt?

In dem Beschluss BGH StR 517/20 vom 16.02.2021 ging es um die Anordnung der Strafkammer des Landgerichts Detmold, dass der Angeklagte für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerinnen in den Zuschauerraum zu verbringen sei.

Dadurch war der Kontakt zum seinem Verteidiger nahezu vollständig gekappt. Das sei kein Rechtsfehler, beschlossen die fünf Bundesrichter.

Zum einen wäre der Angeklagte an seiner Sitzposition auch weiterhin in Sicht- und Hörweite des Verfahrensgeschehens. Dem ist entgegen zu halten, dass er die Zeuginnen lediglich von hinten sieht. Wenn denen die Pinocchio-Nase wächst, bekommt er das nicht mit.

Totschlagfederstrich

Auch weiteren Argumenten zeigte sich der 4. Senat verschlossen gegenüber.

Die Revison hat …

… geltend gemacht, dass es dem intellektuell eingeschränkten Angeklagten von der ihm zugewiesenen Sitzposition im Zuhörerraum aus nicht möglich gewesen sei, direkt mit seinem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und Nachfragen vorzubringen. Auch habe er dieses Defizit aufgrund seiner mangelnden Erinnerungsfähigkeit nicht nach seiner Rückkehr auf die Anklagebank ausgleichen können.

Die Richter vermissten aber den Vortrag, dass …

… tatsächlich bestimmte und möglicherweise entscheidungserhebliche Umstände infolge der von der Strafkammer bestimmten Sitzordnung nicht zur Sprache gekommen sind.

Deswegen könne

ein konkret-kausaler Zusammenhang zwischen den durch die Sitzordnung bewirkten Beschränkungen der Verteidigung und einem bedeutsamen Punkt im Urteil

nicht sicher festgestellt werden,

Mit diesem für eine Revisionsentscheidung typischen Federstrich wird es dem Instanzgericht einfach gemacht, nicht nur sinnbildlich einen Keil zwischen dem Anwalt und seinen Mandanten zu treiben.

Gegenmittel der Verteidigung

Wenn sich eine gütliche Einigung mit einem krawalligen Vorsitzenden nicht erreichen lässt, finden sich beispielsweise Unterbrechungsanträge im Werkzeugkasten eines robusten Verteidigers.

Zur Besprechung mit dem absentierten Mandanten muss dann die Zeugenvernehmung wiederholt unterbrochen werden. So ein Verlauf führt dann nach wenigen Versuchen oft zu Kompromissen oder zur kräftezehrenden Eskalation.

Umsetzung statt Platzverweis?

Die Situation im Prozess, der der Entscheidung des 4. Senats zugrunde lag, ist mir nicht bekannt. Ich kann daher nicht ausschließen, dass sie bereits der Versuch eines Kompromisses war, wenn das Umsetzen des Angeklagten auf den billigen Platz dazu diente, die grundsätzlich auch mögliche Entfernung aus dem Gerichtssaal zu vermeiden.

An dieser Entscheidung ist jedoch erkennbar, dass auch scheinbare Nebensächlichkeiten wie die Platzwahl im Strafprozess durchgreifende Folgen haben können, die ein für die Rechte seines Mandanten sensibler Verteidiger, aber bessen noch ein fairer Vorsitzender im Blick behalten muss.

Dank an den Kollegen Andreas Lickleder aus München, der auf diese Entscheidung auf Twitter hingewiesen hatte.

Bild von Peter H auf Pixabay

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