Überflüssige Verteidigungsschriften

Strafverteidigern wird nachgesagt, sie reden mehr, als dass sie schreiben. Man sollte sie aber auch nicht herausfordern. Wir können auch anders.
Meinem Mandanten wird vorgeworfen, an einem Betrug zulasten eines Versandhändlers mitgewirkt zu haben. Diesem sei dadurch ein Schaden in hoch fünfstelliger Höhe entstanden.
So richtig nachvollziehbar war die Schadenshöhe nicht. Jedenfalls war es kein üblicher Schaden, den man entspannt mit einem Vorher-Nachher-Vergleich ermitteln konnte. Sondern wieder einmal ein Schaden, den ausschließlich Strafjuristen kennen.
Die Strafanzeige
Ausgang dieses Verfahrens war die 35-seitige Strafanzeige mit rund 250 Blatt Anlagen in einem Stehordner, geschrieben von einer u.a. auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierte Kanzlei mit Sitz in Hamburg. Handwerklich gut gemacht, inhaltlich allerdings geführt von manchem Blick in eine trübe Glaskugel.
Die Staatsanwälte
In dieser Sache hatten etwa fünf oder sechs Staatsanwälte aus zwei Bundesländern die Akten in der Hand. Irgendwann haben sich die Strafverfolger geeinigt, und die Arbeit unter sich aufgeteilt. Vier Beschuldigte werden in Nordrhein-Westfalen (NRW) beamtshandelt, mein Mandant bekommt seine Behandlung in München.
Der anfangs über einen längeren Zeitraum zuständige Staatsanwalt ist irgendwo ins Nirvana der bayerischen Justiz entschwunden. Und nun hatte ein „Neuer“ das Ding auf dem Tisch.
Der „Alte“ hatte sich intensiv in das Verfahren eingearbeitet und sich auch ein paar fruchtbare Gedanken gemacht. Die fanden sich allerdings nicht in der bayerischen Akte, sondern nur zwischen den roten Deckeln aus NRW.
Der versteckte Vermerk
Es war zwar etwas mühsam. aber schlussendlich bekam ich dann auch von dort die Akteneinsicht – zumindest in die Hauptakte. Dort fand ich dann in den Tiefen des zweiten Bands, versteckt auf Blatt 341 den ausführlichen Vermerk des Münchener Strafverfolgers, der die Aktenlage ausgewertet hatte:

Die Reihenfolge
Darüber wollte ich nun mit dem „Neuen“ sprechen. Er aber nicht mit mir. Statt dessen schlug er vor, ich solle erst einmal ein bisschen was schreiben, danach erst werde er sich die Akte anschauen. Im Übrigen sei er auch nicht an die Wertungen seines Vorgängers gebunden.
Meinen Hinweis, dass ich gern darauf verzichten würde, die ohnehin schon umfangreichen Akten noch dicker zu machen, berührte ihn nicht. Vielleicht erwartete er ein paar locker beschriebene Seiten, die er zwischen der Mittags- und der Kaffeepause mal eben durchsehen könne.
Die erste Verteidigungsschrift
Mir blieb nichts anderes übrig: Gemeinsam mit meinem Mandanten habe ich die vier Bände aus NRW und die 128 Dateien mit den Münchener Akten durchgearbeitet und mich dann an die Schreibmaschine gesetzt:

Das waren die Kommentare der Verteidigung zu den Akteninhalten und zum Ablauf des bisherigen Verfahrens. Wenn man mit einer Textverarbeitung und einem Spracherkennungsprogramm umgehen kann, stellt so ein Umfang selbst für einen Strafverteidiger kein Problem dar, das nicht zu lösen wäre.
Leider führte dieser Schriftsatz zu keiner Reaktion des „neuen“ Staatsanwalts. Vielleicht hatte ich ihn auch erschlagen, ich weiß es nicht.
Die zweite Verteidigungsschrift
Wir waren seit Oktober aber auch nicht untätig, sondern haben uns den Band mit „Wichtige Telefonate aus TKÜ“ zur Brust genommen. Einen Teil der aufgezeichneten Telefonate hatte ein bedauernswerter Mitarbeiter des Landeskriminalamts verschriftet, also mühsam abgetippt. Mir lagen auch die Audiofiles vor, die sich mein Mandant und ich mir angehört haben.
Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit mündete nun in einer zweiten Verteidigungsschrift, in der wir die abgehörten Telefonate richtig eingeordnet und ausgewertet sowie erwähnenswerten Hintergrund nachgeliefert haben.

Der zuständige Staatsanwalt hat also nun nicht nur die ohnehin schon umfangreichen Akten zu studieren, sondern muss sich nun auch noch mit den 560 Seiten der beiden Verteidigungsschriften beschäftigen.
Das hätte er sich und uns ersparen können, wenn er gesprächsbereit gewesen wäre. Das Ergebnis dieser beiden – an sich überflüssigen – Schriftsätze entspricht exakt dem Vermerk des zuvor zuständigen Dezernenten bei der Staatsanwaltschaft München: Die gegen meinen Mandanten erhobenen Vorwürfe sind unzutreffend.
Die Fortsetzung?
Nun gibt es auch noch das hier:

In diesen Dateien befinden sich eMails, Texte und Bilder, die auf den beschlagnahmten Speichermedien beim Mandanten gefunden wurden und die das LKA für verfahrensrelevant hält. Die schauen wir uns jetzt auch noch einmal genauer an.
Bevor ich allerdings den dritten Schriftsatz tippe, höre ich mir erst einmal an, was der Staatsanwalt zu den bisherigen Blättern zu sagen hat. Wenn er denn jetzt etwas sagen will. Aber vielleicht gibt es zwischenzeitlich ja wieder einmal einen Zuständigkeitswechsel …
3 Kommentare
Der StA wird doch nicht etwa hier mitlesen?
„Strafverteidigern wird nachgesagt, sie reden mehr, als dass sie schreiben. […] Diesem sei dadurch ein Schaden in hoch fünfstelliger Höhe entstanden.“
Jetzt muss man aber auch sagen, dass Bestimmung der Schadenhöhe ja gemeinhin eher eine zivilrechtliche Angelegenheit ist ;-).
Sind Sie sicher, dass das Schreiben beim StA angekommen ist? Ging ja schließlich per beA raus, da weiß man nie …