Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

6. Juli 2023

Verteidiger-Antrag: Lebenslang?

Muss, darf, sollte oder kann ein Strafverteidiger beantragen, seinen Mandanten lebenslang hinter Gitter zu sperren?

Das Verfahren vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ulm war – aus rein juristisch-technischer Sicht – wenig spektakulär.

Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage erhoben und warf dem Angeschuldigten u.a. vor, einen Menschen getötet zu haben, und zwar heimtückisch und zur Verdeckung einer Straftat. Zwischen Tat und Prozessbeginn lagen verhältnismäßig wenige Monate.

Übersichtliche Rechtslage

Der Sachverhalt war zügig ausermittelt, die Beweislage eindeutig und bestätigte unproblematisch die Anklagevorwürfe. Nach relativ kurzer Beweisaufnahme, in der die notwendigen Voraussetzungen der Verurteilung im Übrigen festgestellt wurden, konnten sich die Strafjuristen daher auf ihr Grundstudiumswissen beschränken und den § 211 StGB locker durchdeklinieren: Die Überschrift dieser Vorschrift lautet „Mord“, die Rechtsfolge „lebenslang“.

Schlussvorträge

Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft lieferte daher auch keine Überraschungen, was den Schuldspruch und das Strafmaß betraf. Dass die Staatsanwältin auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragte, war auch für einen schwurgerichtlichen Laien wie mich vorhersehbar.

Nachvollziehbar und erwartbar waren auch die entsprechenden Anschlusserklärungen der Nebenklägervertreter.

Der Antrag der Verteidigung

Erstaunt hat mich allerdings der Antrag der Verteidigerin (screen shot von swr.de):

Screenshot aus https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/ulm/prozess-illerkirchberg-plaedoyers-100.html

Noch etwas knackiger formulierte es die „Zeit„:

Eine lebenslange Haftstrafe hatte auch die Verteidigung gefordert.

Musste die Verteidigerin angesichts der klaren Sach- und Rechtslage einen solchen Antrag stellen? Durfte sie das?

Ich kenne die Hintergründe nicht, war ich doch an diesem Verfahren nicht beteiligt. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Kollegin sich über die Wirkung ihres Antrags bewusst ist und weiß, warum sie ihn gestellt hat.

Zweck des Plädoyers

Für mich wäre es jedoch völlig ausgeschlossen, für meinen Mandanten ein „LL“ zu fordern, d.h. einen solchen Antrag am Ende meines Plädoyers zu stellen.

Das aus folgendem Grund:

Die Schlussvorträge sind verfahrenspsychologisch im derzeitigen deutschen Strafprozess von geringer Bedeutung, da sich Richter schon vor der Hauptverhandlung beim Eröffnungsbeschluss und sodann durch die Beweisaufnahme ein relativ festgefügtes Bild geschaffen haben und danach praktisch kaum noch zu beeindrucken sind. Setzt die Verteidigung erst hier richtig ein, dann kommen ihre Bemühungen regelmäßig zu spät;

BeckOK StPO/Eschelbach, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 258 Rn. 8

Im Klartext bedeutet es, dass ein Plädoyer in der Regel – wenn es nicht sowieso eine Rede zum Fenster hinaus ist – allenfalls für die Galerie, d.h. die Öffentlichkeit gehalten werden muss.

Sofern es dem Verteidiger bis zum Ende der Beweisaufnahme nicht gelungen ist, dem Gericht die Position und das Prozessziel der Verteidigung zu vermitteln, dann helfen am Ende auch keine flammenden Worte und keine mit Verve gestellten Anträge.

Wirkung hat der Schlussvortrag in diesem oft hoch-emotionalen Moment allerdings für und auf den Mandanten. Er macht in der Regel an den Ausführungen und den Anträgen fest, wie sehr sich sein Verteidiger für ihn eingesetzt hat.

Auch wenn die Beweislage eindeutig und die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nicht zu vermeiden ist, muss ich mich als Dienstleister und Interessenvertreter meines Mandanten nicht auch noch zusätzlich dafür stark machen, dass man ihn – lebenslang – ins Gefängnis steckt. Selbst dann nicht, wenn dies die einzig „richtige“ Entscheidung wäre.

Alternativen?

Es gibt sinnvolle Alternativen. Ein Verteidiger muss sich in einer solchen Situation nicht zum Affen machen und einen Freispruch oder eine Bewährungsstrafe beantragen, nur weil der Mandant nicht in den Knast will.

Ich verzichte in vergleichbaren Situationen schlicht auf einen konkreten Antrag, weil das Gericht und die Staatsanwaltschaft ohnehin schon ganz genau wissen, was das Ziel meiner Verteidigung war. Das gilt erst Recht bei zuverlässig erwartbaren Ergebnissen.

Den Eindruck, den die Kollegin mit diesem – vermeidbaren – Antrag vermutlich bei ihrem Mandanten, jedenfalls in der Öffentlichkeit, hinterlassen hat, scheint mir katastrophal zu sein. Es ist nicht die Aufgabe einer engagierten Verteidigung, sich derart vom Mandanten zu distanzieren, auch und erst Recht nicht vor dem Schwurgericht.

Die Aufgaben eines Verteidigers

Zum Schluss auch hier noch einmal das Zitat des ehrenwerten Kollegen Strate, mit meinen einleitenden Worten:

Die Aufgaben eines Verteidigers sind also vielfältig, endlos eigentlich:

Vertrauen schenken, wo es jeder verweigert, Mitgefühl entfalten, wo die Gefühle erstorben sind, Zweifel säen, wo sie keiner mehr hat, und Hoffnung pflanzen, wo sie längst verflogen ist.

Dr. Gerhard Strate, Rechtsanwalt und Strafverteidiger in Hamburg, Welt am Sonntag vom 18.01.2004

Image by Angela from Pixabay

6 Kommentare

  • Martin sagt:

    Was ist denn in so einem Fall (klare Beweislage, kein Spielraum bei der Strafe) das Ziel der Verteidigung? Sicherungsverwahrung verhindern?

  • Michael K. sagt:

    Ich kann mir das nur so erklären, dass es der ausdrückliche Wunsch des Angeklagten war.

  • Martin Overath sagt:

    Im Böttcher/Weimar-Prozess haben die Schöffinnen den Freispruch erwirkt, vielleicht weil die Strafverteidigung überzeugt hat.

  • Duncan sagt:

    Auch wenn die Rechtsfolge unausweichlich ist, so kann ich mir doch vorstellen, dass in der späteren Haftverlaufsplanung ein Plädoyer des Verteidigers, „der kennt doch seinen Mandanten“, durchaus unterbewusst mit hineinspielen kann. Und wenn die eine oder andere Hafterleichterung oder ein Ausgang usw. schon mal ein halbes Jahr früher als angezeigt erscheint, dürfte dies für den Mandanten schon erheblich sein.

  • Karsten sagt:

    Streiche bitte Beleerungen, setze Belehrungen.

  • Frank sagt:

    War das Ziel der Verteidigung vielleicht die Verhinderung einer Feststellung der besonderen Schwere der Schuld? Was nutzt es bei diesem Ziel allein für das gute Gefühl des Mandanten auf den Antrag zu verzichten?