Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

2. September 2020

Bußgeldstelle: Gelogen und getrickst?

Die Zentrale Bußgeldstelle der Thüringer Polizei gibt falsche Hinweise. Ihre Zeugenbelehrung ist mangelhaft. Und sie droht mit Übeln, wenn man den unrichtigen Hinweisen und Belehrungen nicht entspricht.

Darf eine Behörde schwindeln?

Um die Antwort vorweg zu nehmen: Eindeutig nein! Eine Bußgeldstelle darf bei ihren Ermittlungen nicht täuschen und tricksen. Sie ist an Gesetz und Recht gebunden, Art. 20 Abs. 2 GG.

Die Thüringer Bußgeldstellenpolizeibeamten verschicken ein Formular, um von Zeugen Hinweise auf unbekannte Täter zu bekommen.

Der Zeuge möge den Fahrer eines Autos verraten, das zu schnell gefahren sei.

Dazu soll dieser furchteinflößende Hinweis in dem behördlichen Formular veranlassen:

Die zitierte Vorschrift lautet:

Zeugen [..] sind verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen […].

(§ 161a Abs. 1 S. 1 StPO)

Diese Vorschrift verpflichtet den Zeugen also _nicht_ dazu, den Namen und die Anschrift der Fahrerin oder des Fahrers, des Verantwortlichen anzugeben. Es besteht erst Recht keine Verpflichtung dazu, dies innerhalb einer Woche zu tun.

Androhung empfindlicher Übel

Mit richterlicher Vernehmung, weiteren Ermittlungen in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz zu drohen, ist deswegen nicht akzeptabel, sondern erscheint schlicht als Ankündigung eines Missbrauchs von Ermittlungs-Möglichkeiten.

Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte

Zumal dem Zeugen nicht nur ein Zeugnisverweigerungsrecht (siehe § 52 StPO) zusteht, sondern auch ein Auskunftsverweigerungsrecht (siehe § 55 StPO).

Die Bußgeldstelle belehrt an anderer Stelle über diese beiden Rechte.

Falschbelehrung

Diese Belehrung ist falsch, und zwar gleich in doppelter Hinsicht:

Zum einen fehlt der Hinweis auf das Zeugnisverweigerungsrecht des gleichgeschlechtlichen Partners (§ 1 Abs. 1 LPartG). Klarer als in § 52 Abs. 1 Ziffer 2a StPO kann man das Recht eigentlich nicht formulieren, über das eine seriös arbeitende Behörde zu belehren hätte.

Etwas tricky ist die Belehrung über das Auskunftsverweisgerungsrecht.

Den oben (von mir) gelb markierten Satz hört man als Strafverteidiger auch schon einmal von erfahrenen Strafkammervorsitzenden. Es ist aber gleichwohl eine falsche Belehrung!

Diesen Fehler kann aber sogar ein juristischer Laie ganz einfach entdecken: Der Blick ins Gesetz offenbart die Falschbelehrung. In § 55 StPO heißt es:

Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 bezeichneten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

§ 55 Abs. I StPO

Also im Klartext:

Nicht erst dann, wenn sich der Zeuge selbst belastet, darf er die Aussage verweigern. Sondern schon deutlich früher: Nämlich bereits wenn die „Gefahr“ (i.S.v. Möglichkeit) besteht, dass gegen ihn ein Verfahren eingeleitet werden könnte, hat er das Recht zu schweigen.

Zusammengefasst bedeutet das:

Die Zentrale Bußgeldstelle der Polizei Thüringen wendet verbotene Ermittlungsmethoden an.

Sie täuscht Zeugen über ihre Rechte. Entgegen der entsprechenden Verpflichtung unterlässt sie es, Zeugen über ihre Rechte aufzuklären. Und auf dieser Grundlage versucht sie, die Zeugen ggf. dazu zu nötigen, ihre Partner zu verraten oder ein Straf- bzw. Bußgeldverfahrern gegen sich selbst (oder gegen eine nahen Angehörigen) zu riskieren.

Das führt nun (leider?) nicht zur Einleitung von Ermittlungsverfahrern gegen die Verwender und/oder Autoren dieses Vordrucks. Das wäre ja auch des Guten zuviel.

Aber Verteidiger werden – wenn sie dieses Formular in der Akte entdecken – der Verwertung der Aussage eines so belehrten Zeugen widersprechen.

Quintessenz

Ich bin mir nicht sicher, ob ein „Dulden und Liquidieren“ sinnvoller ist als eine Dienst-/Fachaufsichtsbeschwerde mit dem Ziel einer korrekten Belehrung.

Aber vielleicht schickt jemand dem Oberpolizeibeamten des Thüringer Freistaats einfach den Link zu diesem Blogbeitrag. Im besten Fall setzt sich dann ein Rechtsreferendar an einen Polizeirechner und entwickelt für die Beamten einen ordentlichen Belehrungstext. Wenn das überhaupt so gewollt ist.

Image by PublicDomainPictures from Pixabay

6 Kommentare

  • VB sagt:

    „Wenn das überhaupt so gewollt ist. “

    Ist es nicht.
    Die Erfolge sind größer als die paar Verwertungsverbote.
    Solange es keine Strafen für die Versender solcher (vorsätzlich) falscher Bögen gibt, werden sie auch weiter genutzt.

    Der Referent könnte ja auch einfach Strg+C Strg+V aus dem Gesetzt machen.

    Mit Bürgerrechten hatte man es ja schon früher nicht so.

  • Schnorchel sagt:

    Felix Frankfurter lässt grüßen. Ich hätte den Wisch, so verblödet, wie er nämlich geschrieben ist, vermutlich mit dem Hinweis „Zurück an den Absender: Bitte kein Spam“ zurückgesandt.

  • Matthiasausk sagt:

    Und – was macht man mit so einem Schreiben?
    Zurücksenden mit dem Vermerk „Bitte um korrekte Belehrung“ und dann in aller Ruhe auf Verjährung hoffen?

  • Zumal der Stil des Schreibens ebenfalls darauf hindeutet, dass der Verfasser wohl nicht das allerhellste Licht auf der Torte ist. Siehe etwa die fürchterlichen Trennungen „Di-enststelle“ und „Arbeit-splatz“.

  • Der wahre T1000 sagt:

    „Aber Verteidiger werden – wenn sie dieses Formular in der Akte entdecken – der Verwertung der Aussage eines so belehrten Zeugen widersprechen.“

    Bla. Anders als in den USA („Fruit of the forbidden tree“) ist ein Beweisverwertungsverbot in Deutschland nahezu ausgeschlossen.

    Hat der Zeuge geredet/geschrieben, dann wird niemand das ignorieren, selbst wenn der Aussage formal widersprochen wird. Und selbst wenn die Aussage wegfaellt: Ermittlungserkenntnisse, die daraus folgen, bleiben dennoch gueltig.

    Deutschland halt. Wo in den USA Polizisten Menschen (fast immer straffrei) erschiessen duerfen, duerfen in Deutschland Polizisten Beweise illegal erlangen und die Gerichte diese verwerten.

  • Willi sagt:

    In der Sache – zumindest teilweise – korrekt. Aber wie so oft aus meiner Sicht verfälschend überspitzt formuliert.

    „furchteinflößend“ – naja, unter furchteinflößend stelle ich mir was anderes vor. Wer sich von so was einschüchtern lässt der sollte seine Wohnung nicht ohne Personenschutz verlassen. Da draußen in der echten Welt passieren viel furchteinflößendere Dinge.

    Außerdem, es wird in dem Schreiben „gebeten“, nicht „aufgefordert“.

    „Drohung“ mit Besuchen der Nachbarschaft etc.? Andersherum heisst es doch immer, die Ankündigung von rechtlich zulässigen Dingen ist niemals eine Drohung. Und die Ermittlung in der Nachbarschaft ist nun mal nicht unzulässig, oder.

    Fehlerhafte Belehrung, auch sachlich vollkommen OK und es passt zu unserer Kindergartengesellschaft dass jeder Mensch als vollkommen unfähig zu eigenem Denken betrachtet wird und deshalb alles mundgerecht serviert werden muss.

    Gruß

    Willi