Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

8. Juni 2020

Strafverteidigung und die reduzierte Umsatzsteuer

Steuersenkungen sind sehr seltene Glückfälle. Dennoch stellt diese aktuell beschlossene Senkung der Umsatzsteuer von 19% auf 16% ein massives Ärgernis dar – für Verbraucher und für Unternehmer.

Erst einmal ist es ja für Verbraucher sehr erfreulich, dass der Koalitionsausschuss sich in dem Konjunktur- und Krisenbewältigungspakete auf die Reduzierung der Umsatzsteuer verständigt hat. Aber was bedeutet das für die Praxis?

In meiner Kanzlei sieht das so aus:

Ich vereinbare mit meinen Mandanten ein Zeithonorar zuzüglich „gesetzlicher Umsatzsteuer„. In der monatlichen Vergütungsrechnung rechne ich den Zeitaufwand entsprechend ab. Das ist der Nettobetrag, den ich als Gegenleistung von meinem Mandanten erhalte.

Zu dieser Vergütung addiere ich dann die Umsatzsteuer. Nicht freiwillig, sondern weil das UStG mich dazu verpflichtet, bei meinem Mandanten diese Steuer einzuziehen. Diesen (Steuer-)Betrag führe ich später an das Finanzamt ab.

Den Mandanten interessieren die Steuern relativ wenig. Er zahlt den Nettobetrag plus die Umsatzsteuer, also den Bruttobetrag.

Dass der Mandant nun wegen der kommenden Steuersenkung Luftsprünge machen wird, ist eher unwahrscheinlich. Das wird anhand eines Beispiel deutlich: Bei einer Nettovergütung von 1.000 Euro „spart“ er exakt 30 Euro – die Umsatzsteuer wurde von 190 auf 160 Euro reduziert.

Einmal abgesehen von meinem leicht erhöhten Buchungsaufwand (ich muss nur die Spielregeln kennen und beachten), ist es für meine Kanzlei gleich, ob ich nun 160 oder 190 Euro verbuchen und ans Finanzamt überweisen muss.

Anders sieht es aus,

… wenn ein Rechtsanwalt mit seinem Mandanten eine Brutto-Pauschale vereinbart hat. Also glatt 1.000 Euro für eine überschaubare Tätigkeit. Darin sind je nach Höhe der Umsatzsteuer 159,66 Euro oder 137,93 Euro enthalten.

In diesem Fall sollte der Rechtsanwalt nun die Pauschale um 21,73 Euro kürzen; und könnte eigentlich nur noch brutto 978,27 Euro liquidieren – wenn er die Steuerersparnis an seinen Mandanten weitergeben möchte.

1.000 fache Reduzierung

So, und nun stelle man sich bitte einen Supermarkt vor, in dem einige tausend Artikel verkauft werden, auf denen jeweils ein Schildchen mit dem Bruttopreis klebt (so wie die PAngV es verlangt).

Die damit verbundene Rechnerei (aka „der Wahnsinnsaufwand“), wenn der Händler die Umsatzsteuerreduzierung an seine Kunden weitergeben will, dürfte erhebliche Kosten verursachen; auf diesen Kosten bleibt der Händler sitzen. (Nein, ich lasse jetzt die unterschiedlichen Umsatzsteuersätze außen vor.)

Also, was wird der Händler machen? Eben: Nix. Und der Verbraucher guckt in die Röhre …

Problemfall: Zeitlich gestreckter Aufwand

Doch nochmal zurück zu dem Anwalt mit dem Pauschalhonorar. Der Auftrag des Mandanten kommt am 20.06. rein, der Anwalt beginnt sofort mit der Arbeit, ab dem 01.07. reduziert sich die Umsatzsteuer um 3 %; der Anwalt arbeitet weiter. Am 01.01. erhöht sich die Steuer wieder um 3 % und der Anwalt arbeitet noch bis zum 05.01.2021.

Der Mandant hat einen Vorschuss bei Mandatserteilung im Juni gezahlt. Er will jetzt von seinem Rechtsanwalt wissen, ob er einen Teil seiner Zahlung zurück erhält. Und bittet deswegen einen Besprechungstermin.

Im worst case hat der bedauernswerte Rechtsanwalt 20 solche Mandanten, die er umsatzsteuerrechtlich beraten muss.

Die Arbeit hat der Unternehmer, nicht der Fiskus

Diese Umsatzsteuersenkung ist schnell mal beschlossen und in wohlfeile Worte umgesetzt, die dann im UStG veröffentlicht werden. In der Praxis bedeutet das für die Unternehmer einen Aufwand, der in keinem Verhältnis zu den Er- und Beträgen steht.

Das ist nur ein Beispiel von vielen denkbaren Problemen, die jedem Unternehmer ins Haus stehen. Ich denke da auch an den Falafel-Imbiss auf der Sonnenallee mit den schönen bunt bedruckten Speisekarten, den Versandhandel mit zigtausenden Angeboten …

Immaterielle Auswirkungen

Daher bin ich mir sehr sicher, dass (nicht nur) meine tiefgreifende Aversion gegen dieses Steuerrecht durch diese Corona-Krisen-Rettungs-Aktion nicht besser wird.

Aber ich rechne damit, dass sich auch an dieser Stelle wieder neue Steuerstrafsachen entwickeln werden. der § 370 AO passt auch auf die Hinterziehung von Umsatzsteuer. Denn allein dazu ist dieses Steuerrecht doch gemacht, oder?

Bild von Bruno /Germany auf Pixabay

7 Kommentare

  • Fallout Boy sagt:

    Und wenn Sie mit der Sichtweise aus dem letzten Absatz recht behalten sollten, dann bedeutet dass ja wieder mehr Verfahren und mehr Mandanten für Sie (inkl. Beratungsbedarf in Sachen Umsatzsteuer). Also doch eine Win-Win-Situation? ;-D

  • niemand sagt:

    Es ist ja nicht so, daß Corona in den vergangenen Wochen und Monaten die Defizite in der Digitalisierung brutal aufgedeckt hat. Das ist jetzt noch das i-Tüpfelchen. Als IT Dienstleister habe ich jetzt zwei Engelchen links und rechts auf meiner Schulter sitzen, die sich in ungewohnter Einigkeit vor lauter Lachen fest halten müssen.

    Bislang konnte ich kein Hilfsangebot in Anspruch nehmen. Das hier ist jetzt quasi eine Hilfe durch die Hintertür. Mir war bisher nicht bekannt als IT Mensch so eine Lobby in Berlin zu haben 😉

  • busy sagt:

    Ein weiteres Beispiel wie unfähig diese Regierung ist. Die Lufthansa wird als Prestigeobjekt behandelt und die Zulieferer für Verbrennermotoren werden wie Aussätzige behandelt anstatt Gasantriebe als Übergangslösung zu fördern bis E-Autos wirklich brauchbar sind. Maut und Soli, diese unwichtigen Aufgaben bekommt man nicht gelöst und die wichtigen, wie Wirtschaft, Schulsystem, Altenpflege, Flüchtlingskrise und Verkehrspolitik schon gar nicht.
    Hauptsache die automatische Diätenerhöhung funktioniert.
    Ich würde mich in Grund und Boden schämen für solche Leistungen !

  • Michael K. sagt:

    In Österreich wird im Rahmen des Wirte-Pakets das Anliegen bei der Mehrwertsteuersenkung offen kommuniziert: „Bei unveränderten Preisen für den Gast soll damit lt. BMF den Wirten mehr Geld im Unternehmen verbleiben.“ (Quelle: LBG Österreich)

    Das wird auch hier in Deutschland der Ansatz gewesen sein, auch wenn es nicht so deutlich kommuniziert wird. Gleichwohl hat ein REWE mit Papier-Preisschildchen kein Problem Tausende innerhalb kurzer Zeit händisch komplett auszutauschen. Die haben Routine mit solchen Dingen, bei Nahversorgern mit elektronischen Preisschildern ist das ohnehin automatisiert – die Dinger sind ohnehin auf dem Vormarsch.

    Aber mal eine andere Sache: Wenn ein Mandant nicht in Unternehmereigenschaft vorspricht, sollten doch auch nur Bruttohonorarsätze kommuniziert werden, um nicht mit der PAngV in Konflikt zu geraten oder? Netto-Plus-Märchensteuer-Angaben gegenüber Endverbrauchern sollte es eigentlich nicht geben (vgl. Wikipedia ).

    • Dem Grundsatz von Preiswahrheit und Preisklarheit, den Sie zutreffend zitieren, entspricht es (erst Recht), wenn neben dem Gesamtpreis (aka: Brutto-/Endpreis) auch der Nettopreis (aka: Vergütung) und den an den Fiskus abzuführenden Betrag (in Euro) der Umsatzsteuer angeben wird. Meine Mandanten wissen, dass von den 119 Euro, die sie an mich zahlen, nur 100 Euro in meine Kasse gehen. Das ist hier wie an den Tankstellen, wo auch auf die mickerigen 3 ct pro Liter hingewiesen wird, die beim Pächter bleiben.
       
      Wenn also der Staat die Umsatzsteuer reduziert (oder erhöht) und meine Vergütung unverändert bleiben soll, darf der Mandant erwarten, insgesamt weniger (oder mehr) für die Verteidigung zahlen zu müssen. crh
  • Charlie sagt:

    Diese vorübergehende Umsatzsteuersenkung wird in einigen Bereichen in paar Jahren ein beliebtes Thema bei Betriebsprüfungen sein und Straf- und Bußgeldverfahren, zumindest aber – man will nicht immer alles so hoch hängen – für die Prüfer erfreuliche Mehrergebnisse nach sich ziehen.

    Stichwort Leistungszeit: die ist bekanntlich (oder auch nicht *g* ) maßgebend für die Besteuerung des Umsatzes … und damit jetzt für den Steuersatz. Lieferung oder Leistung am 30.06. erbracht, Rechnung am 01.07. geschrieben … mit 16 % … und zack *g*.

    Wann ist eine (komplexe) Leistung erbracht? In den vielen abrechenbaren Stunden, in denen der Rechtsanwalt die Berufungsbegründung entwickelt, diktiert und schreiben lässt … oder an dem Tag, an dem das fertige Produkt (per Fax oder Briefkasten) eingereicht wird? Das kann zu beiden Stichtagen (01.07. / 31.12.) zu Problemen führen … übrigens auch mit Mandanten, die mit Stundenauflistungen aus Dezember 2020 und einem Rechnungssteuersatz von 19% konfrontiert werden.

    Stichwort Teilleistungen: was ist bei einem Gesamtprojekt, das vor dem 01.07. begonnen und danach abgeschlossen wurde, eine selbständige Teilleistung? (Ja, auch der Strafverteidiger muss bei mehreren – einzeln gebührenauslösenden – Hauptverhandlungstagen möglichweise über sowas nachdenken *g*)

    Stichwort unberechtigt (zu hoch) ausgewiesene Umsatzsteuer: die muss man bekanntlich abführen. Viele Kleinbetragsrechnungen (außerhalb des Registrierkassenbereichs) werden einfach als Quittung mit Steuersatz ausgestellt … man denke beispielsweise an Taxifahrer oder Fensterputzer. Wer da mit gedruckten Formularen arbeitet (und Vorräte hält), wird oft ab 01.07. einfach den ausgedruckten 19%-Satz von Hand abändern … was durchaus zulässig ist. Was aber, wenn der Prüfer anzweifelt, dass man das tatsächlich gemacht hat? Wie will man das beweisen?

    Wenig bekannt im Zusammenhang damit: Der Aussteller muss zwar die unberechtigt zu hoch ausgewiesene Steuer abführen … der Empfänger hat aber den Vorsteuerabzug nur in Höhe des richtigen Steuersatzes. Wer also meint, bei einer Rechnung von Anfang Januar 2021 nicht aufpassen und prüfen zu müssen, ob die 19% Steuer voll abgezogen werden dürfen, der irrt … und ein Betriebsprüfer übernimmt das dann später.

    Und so weiter … wer meint, dass eine Steueränderung mit knapp vier Wochen Vorlauf ohne Probleme über die Bühne gehen wird, der glaubt sicher auch, dass im Paket vorgesehenen Hilfen für besonders gebeutelte Branchen helfen wird. Aber das ist ein anderes Thema … Strafverteidiger freuen sich dabei schon mal auf die Verfahren wegen Subventionsbetrug *g*.

    • Besten Dank für die unterhaltsame Fortbildung. 🙂
       
      Für Anwälte, die Zeithonorare abrechnen, ist diese Änderung glücklicherweise überschaubar. Auf der Passivseite (Vorsteuerabzug) müssen die aber auch aufpassen, damit sie nicht 19% zahlen, aber nur 16% ziehen dürfen.
       
      Sind die Verantwortlichen für diesen Zirkus eigentlich namentlich (möglichst mit Anschrift) bekannt? Ich würde denen gern einmal einen guten Tag wünschen.
      crh
  • Daniel sagt:

    Wir betreiben eine Familien-Pension in Leipzig. Die Umstellung aller Umsatzsteuersätze dauert in etwa 5 Minuten durch erfolgreiche Digitalisierung 🙂

  • Christoph sagt:

    Unterhaltsam wird es sicherlich auch im Bereich der gesetzlichen Gebühren:

    Z.B. fällt im Zivilprozess die Verfahrensgebühr für den Rechtsanwalt mit Einreichung des ersten Schriftsatzes in voller Höhe an, deckt dann aber alle etwaigen weiteren Schriftsätze mit ab. Wenn z.B. eine Klageeinreichung im Juni erfolgt und dann im Juli und August je ein weiterer Schriftsatz gefertigt wird, wie gelingt die umsatzsteuerliche Abgrenzung? 19%, weil die Klage aus dem Juni bereits die volle Gebühr ausgelöst hat oder eher 1/3 zu 2/3, weil 2/3 der abgedeckten Leistungen ja im priveligierten Zeitraum erbracht wurden? Wie wäre es mit einer Abgrenzung nach der Länge der Schriftsätze oder gar nach der Güte der jeweils vorgetragenen Argumente?

    Oder aber im Notarkostenrecht: Fertigt ein Notar z.B. einen Entwurf für eine Vorsorgevollmacht im Juni, so fällt dafür zunächst eine Entwurfsgebühr zu 19% USt an. Wird der Entwurf dann im Juli beurkundet, so fällt diese Entwurfsgebühr wieder weg und geht in die Beurkundungsgebühr über, die dann ja mit 16% zu versteuern wäre. Will der Verbraucher die Vorsorgevollmacht nach Durchsicht des Entwurfes doch nicht erteilen, so wäre für ihn die Beurkundung mit anschließendem (formlos möglichem, also kostenfreiem) Widerruf billiger, als die Sache insgesamt nicht weiter zu verfolgen…

    Mir fallen noch zahlreiche weitere Beispiele ein, die ich jetzt im Interesse der Textkürze mal weglasse. Es wird jedenfalls eine Freude werden!