Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

13. Juni 2020

Urteilsübersetzung? Muss nicht sein!

Der 3. Senat des Bundesgerichtshofs vertritt die Ansicht, es sei nicht erforderlich, dass ein Anklagter „sein“ Urteil auch versteht; deswegen müsse es für ihn auch nicht schriftlich übersetzt werden (BGH, Beschluss vom 18.02.2020 – 3 StR 430/19).

Ein Argument der Richter lautet, dass der Angeklagte die mündlich vorgetragenen Urteilsgründe bereits in seiner (ungarischen) Muttersprache gehört habe.

Nur das geschriebene Wort gilt

Dazu muss man jedoch wissen, dass diese vom Vorsitzenden in der Hauptverhandlung gesprochenen Worte weder irgendwo festgehalten wurden, noch auf sie (wirksam) Bezug genommen werden kann.

Wenn der Anklagte sich – wie hier – im Rahmen einer Revision gegen das Urteil wehren will, kann er nicht vortragen, dass der Vorsitzende dieses oder jenes gesagt habe.

Entscheidend insoweit sind allein die schriftlichen Urteilsgründe, die das Revionsgericht zu berücksichtigen hat. Stimmen mündliche und schriftliche Gründe nicht überein, kommt es allein auf das geschriebene Wort an.

Die Leitsätze dieser zu kritisierenden Entscheidung lauten:

1. Der Angeklagte hat grundsätzlich keinen Anspruch auf schriftliche Übersetzung eines nicht rechtskräftigen erstinstanzlichen Strafurteils, wenn er verteidigt ist, er und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend waren und dem Angeklagten die Urteilsgründe durch einen Dolmetscher mündlich übersetzt worden sind.

2. Ein berechtigtes Interesse des Angeklagten an einer schriftlichen Übersetzung des Urteils wird nicht allein dadurch begründet, dass nach der Urteilsverkündung kein Kontakt zwischen ihm und seinem Verteidiger bestand.

Unfair

Fair – im Sinne des Art. 6 EMRK – erscheint mir das nicht. Das wird dann deutlich, wenn der Angeklagte nach Abschluss des Verfahrens vor dem Landgericht seinen Verteidiger gewechselt hat und der Revisions-Verteidiger bei der Verkündung des Urteils nicht anwesend war.

Kritik

Die Kollegin Jessica Friedrich, Rechtsanwältin in Mainz kritisiert daher zur Recht:

Darüber hinaus steht das Verständnis des BGH im Widerspruch zu der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren. Zwar gestattet Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie eine mündliche Übersetzung oder Zusammenfassung wesentlicher Unterlagen. Dies gilt jedoch nur, wenn das Vorgehen einem fairen Verfahren nicht entgegensteht. Aus dieser Formulierung folgt, dass es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt. Der BGH kehrt das Regel-Ausnahme-Verhältnis um, indem die mündliche Übersetzung zur Regel und eine schriftliche Übersetzung wesentlicher Unterlagen zur Ausnahme wird (vgl. dazu u.a. […]; Oglakcioglu in MüKo StPO, § 187 GVG Rn. 27).

FD-StrafR 2020, 429832, beck-online

Bemerkenswert ist, …

… dass die Richter des Bundesgerichtshofs 25 (!) Seiten Text (pdf) auf’s Papier bringen, um diese unhöfliche Entscheidung zu rechtfertigen, statt dass das Landgericht einen Dolmetscher mit der Übersetzung beauftragt und dem Angeklagten die Übersetzung gemeinsam mit der deutschen Fassung zustellt.

Dass man sich darüber wirklich ernsthaft streiten kann, verstehe ich – als Freund praktikabler Lösungen – wirklich nicht.

Image by Gordon Johnson from Pixabay

6 Kommentare

  • Zivilist sagt:

    Kernsatz scheint mir zu sein:

    Eine effektive Verteidigung des Angeklagten auch in der Revisionsinstanz wird dadurch ausreichend gewährleistet, dass der von Gesetzes wegen
    für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche
    Urteil kennt, denn er ist zur Revisionsrechtfertigung berufen und verpflichtet; auf rechtliche Hinweise des Angeklagten ist er bei der Revisionsbegründung nicht angewiesen …

    Dem Sinn nach könnte man entnehmen: Was soll der Angeklagte, der doch sowieso nur revisionsrechtlich völlig unbehelflich die Tat leugnet, bei dem Glasperlenspiel der strafrechtliche Revision.

  • Das Ich sagt:

    Steht es dem Verurteiltem nicht frei das Übersetzen zu lassen? Hat er keinen Anwalt der der Deutschen Sprache mächtig ist? *

    • Lesen Sie Art. 6 II der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), da steht die zutreffende Antwort. crh
  • Scharnold Warzenegger sagt:

    Und ich habe immer gedacht, daß Urteile in deutscher Sprache ok sind, wenn sie von einem deutschen Gericht kommen. Es steht dem Verurteilten doch frei sich das Urteil übersetzen zu lassen? Warum soll dafür der Steuerzahler aufkommen?

  • Alex sagt:

    @zivilist steht im Urteil ja auch so drin.

    Eine besondere Sachkunde des Angeklagten, ohne die der Verteidiger dessen Rechte im hiesigen Verfahren, das keine hochkomplexen Rechtsfragen beinhaltet, nicht wahrnehmen könnte, ist nicht ersichtlich.

    Also ist der Angeklagte (a) nicht sachkundig und das obwohl (b) das Verfahren nicht komplex ist. Nach Meinung des BGH.

    Wäre der Angeklagte sachkundig und könnte sich an seiner Verteidigung beteiligen, dann spräche das demnach für eine Übersetzung.

    Mir scheint, dass der BGH vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr gesehen hat – das Recht auf ein faires Verfahren dient ja vor allem dazu, den Menschen nicht als „Spielball des Gerichtes“, sondern als Mensch zu behandeln. Dazu gehört, Anklage, Verfahren und Urteil verstehen zu können – unabhängig von der Sachkunde.

    Vielleicht macht ja der eine oder andere Richter am BGH mal Urlaub in einem Land, in dem er die Sprache nicht versteht, gerät in einen Verkehrsunfall und findet sich auf einmal vor Gericht wieder, wird verurteilt und der Richter lehnt die Übersetzung des Urteiles mit der Begründung ab, der Angeklagte habe ja keine Sachkunde in Verkehrssachen (schliesslich wäre der Unfall sonst nicht passiert, oder?).

  • Daarin sagt:

    Hmmm… weil hier danach gefragt wurde: Muss der Steuerzahler dafür aufkommen? Werden die Kosten des Verfahrens nicht der unterlegenen Partei auferlegt, also wenn der Steuerzahler dafür zahlen muss, dann weil seine Staatsanwälte jemanden vor Gericht gezogen haben der unschuldig ist?

    Und warum sollte jemandem die wirtschaftliche Last auferlegt werden, ein Urteil übersetzen zu lassen (ist ja nun wirklich nicht gerade Wald- und Wiesendeutsch), wenn er unschuldig ist?

    Und wenn er nicht unschuldig ist, muss der dann Verurteilte dafür zahlen, oder?

  • Der wahre T1000 sagt:

    @Daarin:

    Das mit dem Steuerzahler und dem Bezahlendem ist so eine Sache. Arbeit muss bezahlt werden, von dem der sie in Auftrag gibt. Bei einer Uebersetzung des Urteils also erstmal vom Gericht. Das soll das Geld dann moeglicherweise wiederholen.

    Haben Sie mal einem nackten Mann in die Tasche gefasst? Ich habe es oft versucht und bin meist gescheitert. Die Realitaet ist doch, dass die ganzen Bescheisser und Betrueger meist finanziell nicht zu fassen sind. Da ist auf legalem Weg nichts zu holen. Und selbst wenn: bei der Vermoegensauskunft durch den Gerichtsvollzieher wird genauso hemmungslos gelogen wie vor Gericht. Die wissen genau, dass man sie dafuer nicht drankriegt.

    Im Lauf der Jahre habe ich einen hohen 6-stelligen Betrag verloren.

    Ich gehe mal davon aus, dass das gerade bei Beklagten in Strafprozesson noch weit heftiger ist. Waehrend man es manchmal noch mit Wiedergutmachung versucht, um die Strafe zu druecken, duerften die Kosten des Verfahrens regelmaessig ins leere laufen. Also dem Steuerzahler aufs Auge gedrueckt werden. Deswegen sollte der Verurteilte sich moeglicherweise um seine Uebersetzung selbst kuemmern.

    Super neuer Blog!