Berufsrechtlicher Verdachtsfall

Wenn etwas erlaubt ist, muss es noch lange nicht ethisch vertretbar sein. Man kann auch aus besserer Einsicht darauf verzichten, erlaubt zu handeln. Ethisches Verhalten ist jedoch nicht jedem gegeben.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) beabsichtigt, die AfD als rechtsextremen „Verdachtsfall“ (§ 3 Abs. 1 BVerfSchG) hochzustufen. Zuvor (seit 2019) hatte sich die Partei bereits zum „Prüffall“ der Verfassungsschützer qualifiziert.
Rechtsextremer Verdachtsfall?
Ziel dieser behördlichen Maßnahme ist es, der AfD im Gesamten „gewichtige Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ zu attestieren. Das hätte die Folge, auch nachrichtendienstliche Mittel wie Telefonüberwachung oder V-Leute gegen die Partei einsetzen zu können (zumindest außerhalb ihrer Aktivitäten im Bundestag).
Anwaltliche Vertretung
Gegen diese Maßnahme wehrt sich die AfD. Dazu bedient sie sich anwaltlicher Hilfe.
Besonders qualifiziert für die Vertretung der AfD, deren Mitglieder und Sympathisanten sowie deren spezifischen Probleme hat sich augenscheinlich die Rechtsanwaltskanzlei des Dr. Ralf Höcker aus Köln. Diesem Anwalt sagt man eine gewisse Nähe (oder sagt man besser Distanzlosigkeit?) zu den Ideen dieses rechtsextremen Prüffalls nach.
Es stehen sich also gegenüber:
Auf der einen Seite die AfD, vertreten durch die Kanzlei Höcker, und auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Es gibt eine Schnittmenge:
Denn in der Kanzlei Höcker war vom 01.10.2019 bis zum 25.01.2021 ein gewisser Hans-Georg Maaßen (aus dem Archiv) als Of Counsel im Managing Board der Medienrechtskanzlei tätig. Bis November 2018 war dieser Herr Maaßen der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz.
Auf den Punkt gebracht:
Maaßen war zunächst oberster Verfassungsschützer, nun ist er Rechtsanwalt in dem Verfahren gegen den Verfassungsschutz.
Rote Linie des Berufsrechts
Das anwaltliche Berufsrecht zieht mit § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO hier aber eine rote Linie. Rechtsanwälten ist es verboten, in einer „Rechtssache“ tätig zu werden, in der sie als Angehörige des öffentlichen Diensts bereits tätig geworden sind. Dieses Verbot gilt auch für die mit dem Rechtsanwalt in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Rechtsanwälte, § 45 Abs. 3 BRAO.
Prüfung bei Mandatserteilung
Die Kanzlei Höcker, will sie sich also an das maßgebliche Berufsrecht halten, hätte also prüfen müssen, ob sie dieses Mandat der AfD annehmen darf. Entscheidend bei dieser Prüfung ist, ob Maaßen mit der Rechtssache „Prüf-/Verfachtsfall AfD“ während seiner Zeit beim Verfassungsschutz befasst war.
Mit dem aktuellen Verfahren hatte Maaßen als Präsident konkret nichts zu tun. Das wurde nach seiner Zeit als Verfassungsschützer eingeleitet.
Beratung zur Verdachtsvermeidung
Aber Maaßen soll bereits im Jahr 2015 der damaligen AfD-Chefin Frauke Petry Tipps gegeben haben, wie die AfD eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vermeiden könne.
Zu diskutieren ist, ob diese damalige Gespräche mit der AfD-Spitze im Zusammenhang mit der verfassungsschützenden Beobachtung als „Rechtssache“ im Sinne des § 45 BRAO zu werten sind.
Die Berufsrechtler sind sich einig:
Der Begriff „Rechtssache“ ist weit auszulegen, will man das Ansehen der Anwaltschaft im rechtssuchenden Publikum erhalten und schützen. Es geht bei der Rechtssache also nicht um ein förmliches Verfahren oder einen konkreten Aktendeckel, sondern um einen Lebenssachverhalt.
Und dieser einheitliche Lebenssachverhalt läuft unter der Überschrift „Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz“ – im Jahr 2015 bereits und jetzt in 2021 immer noch.
Klassischer Berufsrechtsverstoß
Wenn also die AfD der „Kanzlei Höcker“ die Vollmacht und den Vertretungsauftrag in diesem konkreten Fall erteilt und die „Kanzlei Höcker“ mit all ihren Anwälten und Of Councels diesen Auftrag angenommen hat, liegt – zumindest nach meiner Einschätzung – ein klassischer Verstoß gegen Berufsrecht, § 45 Abs. 1 und 3 BRAO, vor.
oder nur ethisch unvertretbar?
Wer der Ansicht ist, es handele sich um zwei voneinander unabhängige Rechtssachen bzw. Lebenssachverhalte, muss sich entgegen halten lassen: Nicht alles, was rechtlich nicht verboten ist, muss auch ethisch vertretbar sein. Höcker selbst und Maaßen räumen ein: Es riecht.
Geheuchelter Reparaturversuch
Die Mandatübernahme war rechtlich unzulässig, jedenfalls berufsethisch unvertretbar. Daran ändert auch das – spätere – Ausscheiden des Herrn Maaßen aus der Kanzlei Höcker nichts.
Wenn Höcker (und Maaßen) jetzt herkommen und vortragen …
„Das Problem ist eher seine wahrscheinliche künftige Zeugenstellung. Es hätte ein Geschmäckle, wenn er mit Zeugenhut und Anwaltshut gleichzeitig aussagt.“
… so erscheint dies als taktische Heuchelei.
Ob nun rechtlich zulässig oder nicht: Die einzige Möglichkeit, den Fehler zu korrigieren und sauber aus der Sache wieder rauszukommen, bestünde in der Beendigung des Mandats. Aber die Größe hat Höcker nicht.
Ramponierter Ruf
Dass Höcker und Maaßen mit dieser Aktion und ihrem zumindest unethischen Verhalten nicht nur weiter ihren ohnhin schon ramponierten Ruf demontieren, sondern darüber hinaus der rechtsextremen Mandantschaft massiv schaden, bedauere ich nicht.
Berufsrechtliches Durchlüften
Der Schaden für die Wahrnehmung der Anwaltschaft in der Bevölkerung ist hingegen nicht akzeptabel. Vielleicht kann die Berufsaufsicht der Kölner Rechtsanwaltskammer die Kanzlei Höcker und ihre Councels einmal ordentlich durchlüften. Erforderlich wäre es allemal.
Update:
Zur Ergänzung noch ein Twitter-Thread mit der Einordnung der Geschichte durch einen (proviziellen) Staatsanwalt:
5 Kommentare
So ganz ohne interne Spannungen scheint es in der Kanzlei Höcker nach dem Zugang des Herrn Maaßen und dem Engagement für die AfD nicht gewesen zu sein.
https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2020/11/koeln-hoecker-anwaelte-gruenden-presserechtskanzlei
https://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2020/08/presserecht-hoecker-anwaeltin-wechselt-zu-schertz-bergmann
Herr Hoenig, Ihr Widerstand gegen den braunen Sumpf und deren Vertreter ist bewundernswert. Prima!
Allerdings sehe ich da ein Problem. So, wie Sie allgemein die Vertretung auch von Schwerkriminellen vor Gericht als Zweck der Strafverteidigung verteidigen (also letzlich diese Personen selbst verteidigen), weil diese einen Anspruch auf Verteidigung haben, sollten Sie dies auch Dritten zugestehen. Also sowohl den Anwälten als auch denen, die niemand verteidigen möchte.
Irgendeiner muß es ja machen, wenn es fair zugehen soll. Warum kritisieren Sie diese Leute dann?
Kurz: wo liegt der Unterschied zwischen einem Vergewaltiger und einem Nazi? Die sind beide grob ekelhaft und benötigen dennoch die Dienste eines Strafverteidigers. Ist das dann keine Sache der Berufsehre, sondern nur des persönlichen Geschmacks?
Anyway: Ich kritisiere Höckers augenscheinliche Identifizierung mit und Distanzlosigkeit zu (s.o.) der üblen Gesinnung dieser Rechtsextremen. Um in Ihrem Bild zu bleiben: Er verteidigt die Vergewaltigung und nicht den Angeklagten.
Außerdem stelle ich einen heftigen Berufsrechtsverstoß fest, den Maaßen und Höcker mutmaßlich im bewussten und gewollten Zusammenwirken begangen haben.
crh
@Der wahre T1000, das Problem ist hier nicht der Umstand das die AfD sich anwatlich vertreten lässt sonder durch wen.
Wäre Herr Maaßen nicht zeitweilig für beide Seiten in dem Fall aktiv gewesen, würde da kein Hahn nach krähen.
Oder wie würde es Ihnen gehen wenn ihr ehemaliger Pflichtverteidiger plötzlich als Staatsanwalt die Anklage vorlesen würde?
Verstanden.
Was mich an der ganzen Sache wundert, ist dann auch, dass es in der Kanzlei der HÖCKER Rechtsanwälte PartGmbB keinen spezialisierten Kollegen für die hier relevanten Rechtsgebiete gibt – zumindest geht dies aus der Kanzleihomepage nicht hervor. Wer also wird diesen Fall letzten Endes dort bearbeiten? Der einzige, der das Gebiet beherrscht hätte, war Herr Maaßen. Und der ist weg. Und er hätte es ja auch aus den oben sehr schön ausgeführten Gründen gar nicht machen dürfen.