Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

4. Juli 2022

Richterliche Vorlieben bei der Strafzumessung

Was dabei herauskommt, wenn ein Richter seine persönlichen Erfahrungen und Geschmäcker zum Maßstab für ein Urteil macht.

Das Amtsgericht Frankfurt a.M. hat am 03.06.2022 einen Fahrer wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt (974 OWi 533 Js-OWi 18474/22).

Erhöhte Geldbuße

Dabei hat das Gericht die Regelgeldbuße von 200 € auf 350 € erhöht. Die Erhöhung begründete das Gericht zunächst mit Voreintragungen im Fahreignungsregister; das ist üblich und nicht zu beanstanden.

Aber zusätzlich hielt das Gericht eine Erhöhung „als tat- und schuldangemessen„, weil der Verkehrsverstoß mit einem BMW begangen wurde; dabei handelt es sich …

     … um ein so genanntes Sport Utility Vehicle (kurz SUV), das von seiner Bauart dadurch von normalen Kraftfahrzeugen in der Art abweicht, dass es über eine erhöhte Bodenfreiheit verfügt und das Erscheinungsbild an einen Geländewagen angelehnt ist. Aufgrund der kastenförmigen Bauweise und den höher angeordneten Frontstrukturelementen stellt dieses Fahrzeug im Falle eines Unfalls eine größere Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer dar.

Erhöhte Betriebsgefahr

Das Gericht stützte diese Argumentation auf eine fast 26 Jahre alte zivilgerichtliche Entscheidung (OLG Hamm, Urteil vom 30.09.1996 – 6 U 63/96, NZV 1997, 230), in der seinerzeit eine bauartbedingte erhöhte Betriebsgefahr im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall festgestellt wurde.

     … Zudem wurde die erhöhte Betriebsgefahr des verwendeten Kraftfahrzeugs bei der Bemessung der Geldbuße zu Lasten der betroffenen Person berücksichtigt. Die kastenförmige Bauweise und wegen der größeren Bodenfreiheit erhöhte Frontpartie des Fahrzeugs erhöhen bei einem SUV das Verletzungsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer. Gegenüber einem Pkw in üblicher Bauweise liegt deshalb eine erhöhte Betriebsgefahr vor […].

Aufgrund der größeren abstrakten Gefährdung durch das geführte Kraftfahrzeug stellt sich der begangene Rotlichtverstoß gravierender als der Normalfall dar; insbesondere, da die Regelungen des § 37 StVO zu Wechsellichtzeichen darauf abzielen, querende Verkehrsteilnehmern im Kreuzungsbereich der Lichtzeichenanlage bei einer Kollision zu schützen. Daher weist dieser Fall eine Besonderheit auf, die ihn von gewöhnlichen Tatumständen unterscheidet, sodass die Regelbuße entsprechend zu erhöhen ist.

Ich bin überzeugt davon, dass diese Gründe nicht halten werden, wenn das Rechtsbeschwerdegericht sie auf ihre Stichhaltig- und Zulässigkeit hin überprüft.

Das Urteil im Namen des Richters

Aber das soll hier nicht das Thema dieses Beitrags sein, ich bin kein Verkehrsrechtler (mehr). Für mich stellt sich stattdessen die Frage, wer hier das Urteil im Namen des Volkes eigentlich gesprochen hat. Nicht formell, das ist insoweit eindeutig; sondern inhaltlich.

War es das Amtsgericht Frankfurt a.M.? Oder war es – statt dessen – der Richter der Abteilung 974 des Amtsgerichts persönlich?

Die Begründung, der SUV-Fahrer muss härter „bestraft“ werden als der Fahrer eines – sagen wir ‚mal – elektrisch angetriebenen Kleinwagens für ein und denselben Rotlichtverstoß, passt herrlich in das gegenwärtig stattfindende SUV-Bashing. Ich mutmaße, dass dieser Richter eher mit fahrradfahrenden Umweltaktivisten sympathisiert als mit den Freunden eines satten V8-Sounds.

Nun ist weder der Fahrradfahrer noch der Big-Block-Enthusiast per se gut oder böse. Es ist vielmehr eine Frage der persönlichen Vorlieben und wohl auch der politischen Einstellung, welchem der beiden Mobilisten man seine Stimme gibt.

An dieser Stelle kommt das Gericht bzw. der Richter wieder ins Spiel. Dürfen in ein Urteil persönliche Ansichten, Vorlieben oder Abneigungen einfließen?

Wenn man die reine Lehre vertritt, ist die Antwort eindeutig: Nein, die Präferenzen eines Richters haben in den Urteilsgründen nichts zu suchen. In der Praxis hingegen sieht es anders aus. Wie man an diesem Frankfurter Urteil gut zu erkennen vermag.

Sanktionierung des Fahrzeugs

Ich bin überzeugt davon, wäre der Richter nebenberuflich als Landwirt tätig und würde in der Neugrimnitzer Straße in Althüttendorf wohnen, hätte er für die tägliche Fahrstrecke über die mit Katzenköpfen grob gepflasterten Straße durch den Buchenwald nach Angermünde ebenfalls ein geländegängiges Fahrzeug mit größerer Bodenfreiheit und erhöhter Frontpartie. Und dann hätte er das Urteil anders begründet und wäre nicht auf die abwegige Idee gekommen, den Betroffenen für sein Auto und nicht für sein Verhalten zu sanktionieren.

Die Begründung, die dieser hessische Richter abgeliefert hat, muss jedem Angeklagten oder Betroffenen, das heißt: jedem Verteidiger eine deutliche Warnung sein. Es reicht nicht aus, sich nur auf das materielle und formelle (Prozess-)Recht zu fokussieren. Vielmehr sind in sehr vielen Fällen eben diese persönlichen Einstellungen eines Richters von entscheidender (sic!) Bedeutung.

Subjektive Begründung einer Entscheidung

Das betrifft nun nicht allein das Verkehrsstraf- und -bußgeldrecht. Nehmen Sie einen (ehemals) kiffenden Richter und vergleichen Sie ihn mit einem Richter, dessen Tochter durch übermäßigen THC-Konsum eine behandlungsbedürftige Psychose entwickelt hat. Wie werden die Urteile dieser Entscheider jeweils ausfallen, in denen es um 50 Gramm Mariuhana geht?

Auch im Wirtschaftsstrafrecht kommen immer wieder die persönlichen Präferenzen oder Lebenswege zum Tragen. Ein Richter, der sein Studium mit einem kleinen Handel selbst finanziert hat, geht mit dem unternehmerischen Risiko ganz anders um als ein Jurist, der sein Leben stets im Elfenbeinturm seiner Eltern verbracht hat. So ist es beispielsweise in Insolvenzstrafverfahren immer schwierig, aber notwendig, einem bis zum Lebensende abgesicherten Richter klarzumachen, dass in Kauf genommene Unsicherheiten stets zum Geschäft gehören und keine Belege für eine strafwürdige Sorglosigkeit darstellen.

Es ist Aufgabe des Verteidigers, darauf zu achten, dass diese subjektiven Aspekte bei der Beurteilung eines Lebenssachverhalts oder bei der Bemessung einer Sanktion keine Rolle spielen.

Zielpersonen sind dabei nicht „nur“ die Berufsrichter, sondern auch und gerade die Laienrichter. Sie bringen nicht selten das Leben in die Urteilsberatung hinein, das manche Richter nicht aus eigener Anschauung kennen. Besonders dann, wenn diese Schöffen einer Wirtschaftsstrafkammer selbst aktive Unternehmer sind oder waren. Im Idealfall neutralisieren deren eingebrachten Perspektiven den Blick der Berufsrichter aus dem Turmfenster.

Aktivistischer Richter im Elfenbeinturm

Für den BMW-Fahrer aus dem Frankfurter Fall wird es nicht darauf ankommen, ob die Geldbuße nun 350 oder nur 250 Euro beträgt; das macht das Kraftstoffgemisch nicht fett. Ich hoffe aber, dass das OLG Frankfurt das in die Urteilsform gegossene SUV-Bashing eines mutmaßlich aktivistischen Richters in der Rechtsbeschwerde mit deutlichen Worten aufheben wird. Sonst wird es künftig für die Höhe der Geldbuße darauf ankommen, welche Form die Motorhaube des Fahrzeuges hat. Und dann streiten sich die Verkehrsrechtler über die Einordnung eines Fiat Panda 4×4.

Update:

Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Fischer, VRiBGH a.D., wurde am 03.07.2022 in der LTO eine ausführliche Darstellung der Sach- und Rechtslage dieses Falles veröffentlicht. Darin heißt es u.a.:

Die Entscheidung des AG Frankfurt/M überzeugt […] nicht. Sie setzt an einer populären Stimmung an, ist aber einfachrechtlich kaum begründbar und verfassungsrechtlich fragwürdig. […] Eine Differenzierung der Geldbußen nur nach dem Typ des geführten Kfz bei Rotlicht-, Geschwindigkeits- oder sonstigen abstrakt gefährlichen Verkehrsverstößen ist nicht nur unzulässig, sondern angesichts einer Vielzahl weiterer Faktoren, die die (abstrakte) Gefährlichkeit bestimmen, auch evident unzweckmäßig.

10 Kommentare

  • Tomas Jakobs sagt:

    Ein schöner Montag Morgen Artikel… mit mindestens einem Power-Quote:

    „So ist es beispielsweise (…) immer schwierig, aber notwendig, einem bis zum Lebensende abgesicherten (…) klarzumachen, dass in Kauf genommene Unsicherheiten stets zum Geschäft gehören und keine Belege für eine (…) Sorglosigkeit darstellen.“

  • martin sagt:

    zu dem urteil selbst habe ich keine meinung. aber: wenn Du dem Ri. hier vorwirfst, nicht das verhalten, sondern seine autowahl zu sanktionieren, ist das nicht vielleicht zu kurz gegriffen? in allererster linie sanktioniert er ja doch schon den verstoß im straßenverkehr; der betroffene ist über eine tiefrote ampel weit in die kreuzung gefahren. und das, OBWOHL ER AUCH NOCH ein SUV fuhr. im kern steht also immer noch der verstoß. im endeffekt lässt sich daraus evtl. die phantasie des Ri. ableiten, dass für SUV-fahrer noch höhere vorsichtspflichten gelten. nicht aber, dass man kein SUV fahren darf. oder?

  • M.S. sagt:

    Der Herr Fischer hats zufällig heute auch recht gut ausgeführt. Vor allem der Umstand, dass Lasterfahrer, Busfahrer, Bullifahrere etc sonst ebenfals immer erntsprechend zu beurteilen wären….

  • Willi sagt:

    Sanktioniert wird der Verstoß, nicht das Fahrzeug. Soweit vollkommen unproblematisch.
    Dass von den SUV zumindest in Teilbereichen eine höhere Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeht als von anderen Fahrzeugen ist m.E. auch unstrittig, oder?
    Insofern ist es m.E. durchaus legitim an den Fahrer eines SUV einen noch höheren Anspruch an korrektes Verhalten im Straßenverkehr zu stellen als an den eines „kleineren“ Autos und im Umkehrschluss bei einem Verstoß eine Abweichung vom Regelsatz zu begründen. Am anderen Ende werden ja Fahrradfahrer und Fußgänger bei einem Rotlichtverstoß auch deutlich geringer sanktioniert als Autofahrer – das ist letzten Endes sehr ähnlich gelagert.
    Schließlich ist ein „Regelsatz“ ja eben gerade auch keine zwingend fest vorgegebene Strafhöhe sondern eben eine Orientierung von der zu Recht auch abgewichen werden darf.

    Dass da noch weitere Gründe in Form von Voreintragungen im Verkehrseignungsregister dazu kommen macht die Sache nicht gerade besser.

    Aus meiner Sicht geht das Urteil vollkommen in Ordnung.

    Gruß

    Willi

    • Andere Ansicht: Prof. Dr. Thomas Fischer, VRiBGH a.D. (siehe oben das Update zum Beitrag). crh
  • Tilman sagt:

    1) danke für den V8 sound 😂
    2) 03.07.2022, nicht 03.08.2022

    Es hat sich herausgestellt, dass Thunderbird einen RSS reader hat (womöglich schon ewig), jetzt lese ich wieder blogs von „früher“!

  • TechnikerBLN sagt:

    @Willi: Darf ich davon ausgehen, dass Sie bei einem Porsche oder Lamborghini eine niedrigere Strafe für gerechtfertigt halten?

    Wie hoch sollte denn die Strafe bei einem Caddy (1,8m, aber recht niedrige Front) oder VW-Bus (knapp 2m, sehr hohe Front) angesetzt werden?

  • Natürlich muss das OLG diese Entscheidung aufheben – wenn der Betroffene denn Rechtsbeschwerde eingelegt hat. Denn eine Rechtsbeschwerde der Frankfurter Amtsanwaltschaft zugunsten des Betroffenen würde ich hier beim besten Willen nicht erwarten, auch wenn sie zwingend geboten wäre.

    Ja, das OLG muss diese Entscheidung aufheben.

    Aber es ist eben nicht einfach ein OLG, sondern das OLG Frankfurt am Main, über welches selbst andere OLG-Richter (a. D.) sagen: „Eigener Rechtskreis.“ Eingetütet ist die Aufhebung dieser offensichtlich rechtswidrigen Entscheidung daher noch lange nicht.

  • Willi sagt:

    Hallo,

    @crh,

    Danke für die Ergänzung. Dass die Erhöhung des Strafrahmens ggf. als unzweckmäßig einzustufen ist, da gehe ich durchaus mit. Das ist aber was anderes als unzulässig.
    Was hingegen die Beurteilung als unzulässig betrifft geht für mich aber aus der zitierten Einschätzung gerade nicht hervor, woraus sich denn die Unzulässigkeit ergeben würde.

    @TechnikerBLN

    Von niedrigerer Strafe (ggü. dem Regelsatz) nicht, aber ja, ich bin an der Stelle da durchaus der Meinung dass bei einem Lamborghini oder Porsche eine Erhöhung gegenüber dem Regelsatz nicht begründbar ist. Beim VW Bus dagegen durchaus, der „leidet“ genauso an der gefährlicheren Front und begründet damit durchaus genauso eine höhere Sorgfaltspflicht. Genau darum geht es doch, an die Fahrer von gefährlicheren Fahrzeugen sind höhere Anforderungen zu stellen als an die Fahrer von weniger gefährlichen Fahrzeugen.

    Gruß

    Willi

  • @Willi das OWiG und die BKatV machen – im Gegensatz zu manchen anderen Verstößen – bei Rotlichtverstößen dem Grunde nach keinen Unterschied, ob der Rotlichtverstoß von einem LKW oder PKW begangen wurde.

    Insoweit liegt der richterliche Begründung aus Frankfurt kein klarer gesetzgeberischer Wille zugrunde.

  • Schwennesen Sven sagt:

    Ich bitte um Entschuldigung. Dies ist kein Kommentar zur Sache. Ich möchte nur über neue Beiträge informiert werden. Der Blog bringt Spaß. Vielen Dank dafür.