Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

19. Oktober 2023

Migranten, Pianisten und Zahnärzte

Wir leben in einer sonderbaren Welt, die durch Menschen gestaltet wird, von denen ich eine bessere Leistung erwartet hätte. Dazu eine unscharfe Darstellung auf der Suche nach einer Ursache.

Zur Zeit bestimmt die Innenpolitik eine absonderliche Diskussion. Es geht um „die Migranten“.

Ausländer raus

Das Thema „Ausländer raus“ wird seit langer Zeit durch einen Teil der hier lebenden Menschen propagiert, denen ich eine relativ kurze Distanz zum Faschismus attestieren möchte. Das war viele Jahre, Jahrzehnte glücklicherweise nur ein kleiner Teil der Bevölkerung, der von eher untergeordneter Bedeutung war. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat es in seiner Entscheidung zum NPD-Verbotsverfahren noch so formuliert:

„Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr [der NPD] verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen.“

BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 (2 BvB 1/13)

Gehörtes Gebrüll

Leider war und ist der Teil dieser (Neo-)Nazis nicht nur sehr laut, sondern finanziell auch überdurchschnittlich gut ausgestattet. Gemäßigte und intelligente Stimmen halten sich zurück und finden daher zunehmend weniger bis kein Gehör. Das führte in der Vergangenheit zur zahlenmäßigen Vergrößerung derjenigen, die aus der rechte Ecke heraus ihre Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ brüllten. Die Schwelle des Unsagbaren wurde stetig niedriger. Die Anzahl derer, bei denen das Gebrüll Gehör fand, wurde größer.

Migration der Wähler

Da nun aber die Zahl der Wahlberechtigten endlich ist und immer mehr diesem rechtsextremen Gesindel folgten, wurde die Zahl derjenigen, die sich bislang von den gemäßigten Politikern haben vertreten lassen, folgerichtig immer geringer.

Parteien wie beispielsweise die AfD und die Freien Wähler verbuchen aktuell enorme Zuwächse; die klassischen Volksparteien hingegen mussten sich immer öfter mit Wahlergebnissen auseinander setzen, die bei Konrad Andenauer (CDU 1957: 50,2 %), Willi Brandt (SPD 1972: 45,8 %) und Helmut Kohl (CDU 1983: 48,8 %) jeweils zum Herzstillstand geführt hätten.

Da schien es naheliegend zu sein, einer weiteren Wählerwanderung in Richtung einstelliger Zahlen bis hinunter zur Fünfprozenthürde dadurch entgegen zu wirken, in dem man Teile des Programms dieser scheinbar erfolgreichen Schreihälse kopierte.

Kein Problem

Die aktuelle Diskussion um „die Migranten“ ist ein klassisches Beispiel dafür, dass es den Proto-Faschisten gelungen ist, ein Problem auf die Agenda zu setzen, das gar kein Problem ist, was nicht zu schaffen wäre.

Die statistische Übersicht der Asylanträge über die Jahre. Da ist derzeit keine Krise in Sicht und ganz nebenbei: 2015/16 haben wir auch gewuppt.

Prof. Guido Kühn auf BlueSky

Die Statista GmbH stellt die Anzahl der Asylanträge in einer Grafik dar, die das verdeutlicht:

 

Es gibt einfach kein fettes „Migrantenproblem“, das eine Diskussion in dieser Intensität rechtfertigen würde. Eine kleine Flamme würde zum Kochen völlig ausreichen.

Wählerabwanderungsverhinderungsstrategie

Aber stattdessen übernahm man zunächst beispielsweise das (völlig unzutreffende) Argument: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg„. Und verbot ihnen zu arbeiten.

Das hatte nun aber zur Folge, dass diese Menschen gezwungen waren, vom Rechts- und Sozialstaat unterstützt zu werden. Oder wie der gemeine, oft von der Grundsicherung lebende Nazi es formulieren würde: „Die liegen den ganzen Tag auf der faulen Haut, kriegen die Kohle trotzdem hinten und vorne reingeschoben; ich muss malochen und habe viel weniger.

Also musste eine neue Strategie her. Die „Altparteien“ machten sich dieses Fake-Argument der Dumpfbacken zu eigen und wollen nun Gutscheine statt Bargeld an die „faulen Ausländer“ verteilen. Damit werden aber die zuständigen Verwaltungen überfordert; es wird wohl bei der Unterstützung durch Geld statt durch Zahlkarten bleiben.

Deswegen gibt es jetzt eine neue Idee: „Die Ausländer sollen endlich was tun für ihr Geld!“ Sie sollen ab jetzt arbeiten müssen. Mit dieser Forderung will man verhindern, dass die Einwohner Brandenburgs, Sachsens und Thüringens künftig nicht weiter mehrheitlich die Orignial-Faschisten wählt, sondern eine eher gemäßigtere Kopie.

Die solcherart zur de-facto-Zwangsarbeit (Hallo, Artikel 12 Absätze 2 und 3 Grundgesetz! Can you hear me?) genötigten Menschen haben aber ein Problem.: „Weil, so wie die reden, versteht die kein Mensch.“ hört man den hessischen (hässlichen?) Arbeitgeber und AfD-Wähler herummaulen.

Sprachkurse könnten insoweit hilfreich sein. Doch dafür fehlen den „disfunktionalen“ Ämtern (O-Ton Mazanke, Leiter des Berliner Einwanderungsamts) sowohl Mittel als auch Kapazitäten.

Keine Lösung

Also:
Man verschließt die Grenzen, läßt die Leute im Niemandsland verhungern oder wahlweise im Mittelmeer absaufen. Oder man schiebt Menschen ab, die schon viele Jahre in Deutschland leben, arbeiten und (dringend benötigter) Teil unserer Gesellschaft geworden sind.

Ja:
Es kostet Geld und Ressourcen, wenn und dass Deutschland etwa ein Drittel aller nach Europa Geflüchteten aufnimmt. Das ist jedoch eine sehr sinnvolle Investition, die auch dazu beitragen könnte, das Bild von dem hässlichen Deutschen in der Welt zu korrigieren.

Nein:
Ich weiß nicht, wie das in der Praxis alles umgesetzt und besser gemacht werden kann. Aber ich kann auch kein Klavier spielen und trotzdem höre ich genau, wenn der Pianist oben auf der Bühne neben die Tasten greift.

Intelligente Ideen statt Anbiederung

Wenn man den Hasstiraden der Weidels, Störche, Höckes und anderer Brandnerstifter etwas wirksam entgegen setzen wollte, könnte eine gut gemachte Medienkampagne beispielsweise in den Werbepausen des Vorabendprogramms einen neutralisierenden und aufklärenden Effekt haben. Findige Marketing-Köpfe mit entsprechender Profession werden klügere Ideen haben.

Alles wäre jedenfalls besser, als sich mit abwegigen und zugleich abstoßenden Gedanken über fehlende Kapazitäten von Zahnärzten dem rechtslastigen Dummvolk anzubiedern.

Image by 652234 from Pixabay / Zitat von Prof. Guido Kühn auf BlueS

5 Kommentare

  • Bithive sagt:

    Warum wird eigentlich Asyl und Migration immer als ein Thema verhandelt?

    Ich glaube, die Debatte würde gewinnen, wenn wir diese beiden Punkte getrennt klären würden. Dann könnten wir darüber reden, welche Migration wir wollen und müssten nicht gleichzeitig an Menschen denken, die Asyl beantragen.

  • Mick sagt:

    Ich vermute, weil echtes Asyl schwer umzusetzen ist und auch Migration beinhaltet. Die Konflikte sind leider alle langwierig und oder auch mit wirtschaftlichen Problemen verbunden, aus denen sie entstanden sind. Wenn man ehrlich ist, muss man auch sagen, dass nicht abzusehen ist, wann der Grund für das Asyl entfallen soll. Bzw. was ist, wenn das nach sagen wir mal 7 Jahren der Fall ist? Wie verbringt man diesen Zeitraum? Selbst im Ukrainekonflikt, wo ich persönlich noch die größten Chancen auf ein „schnelles Ende“, bzw. auch einen starken Wunsch zur Rückkehr sehe, werden Kinder hier geboren, wird sich integriert und dann hat man eine Migrationsfrage. Oder man muss Kinde in eine fremde Heimat „zurück schicken“.

  • Das ich sagt:

    Da ist ihm wohl ein kleiner Vertipper im Namen passiert… ich denke mal sie meinten nicht Herrn Weigel (Waigel) sondern Frau Weidel…und ein doppeltes „den“ 🙂

    Thx. Fixed. crh

  • le D sagt:

    Danke Dir!

    Und: sei sicher – als vernünftig überlegender und nicht herzloser Mensch bist Du nicht alleine!

  • Nobody sagt:

    Warum sind Sie eigentlich aus Kreuzberg an den Kurfürstendamm gezogen?