Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

27. Dezember 2022

Verteidiger pfeift Journalisten zurück

Journalisten sind keine Juristen; es ist aber nicht hilfreich, wenn aufgrund fehlender juristischer Kenntnisse der Öffentlichkeit ein inhaltlich falsches Bild gezeichnet wird.

Das Landgericht Berlin hat in einem Einzelfall eine Entscheidung getroffen, die kurz zusammengefasst lautet:

Die Angeschuldigte ist „einer Straftat hinreichend verdächtig“. Es besteht die „erforderliche Wahrscheinlichkeit“, dass sie „wegen Nötigung in Tateinheit mit Widerstand“ verurteilt werde.“

Diese Entscheidung – es handelt sich um einen Beschluss in einem Strafverfahren wegen einer „Klimablockade“ – wird in den Medien breit dargestellt. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die kommentierenden und berichtenden Journalisten gar nicht so richtig wissen, was da eigentlich passiert ist.

Auf dem ersten Platz der Rangliste der absoluten Ahnungslosigkeit rangiert der anonym gebliebene Schriftsteller des Focus. Es lohnt nicht, sich mit dieser Darstellung ernsthaft auseinander zu setzen, der Artikel ist kompletter Unfug.

Einer meiner Lieblingsjournalisten des Berliner Tagesspiegel macht es deutlich besser; er ist kein Volljurist, erst Recht kein Strafverteidiger; aber zumindest versucht Alexander Fröhlich die Entscheidung der Strafkammer einigermaßen sachgerecht nachzuzeichnen – leider aber auch unter einer boulevardesken Überschrift. Von ihm stammt die oben zitierte Zusammenfassung.

Das Verfahren

Ich möchte in diesem Blogbeitrag kurz das Verfahren darstellen, in dem dieser Beschluss ergangen ist und wie es nun weitergehen wird. Dabei verfüge ich nicht über Aktenkenntnis, wohl aber ist mir die Strafprozessordnung bekannt. Das reicht dazu erst einmal.

Antrag

Begonnen hat das Ganze mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls, § 407 Abs. 1 StPO. Die Angeschuldigte möge wegen Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bestraft werden. Diesen Antrag hat sie an das Amtsgericht Tiergarten gerichtet.

Ablehnung

Dort hat der zuständige Richter ausführlich begründet beschlossen, diesem Antrag nicht zu entsprechen; § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO sieht eine solche Ablehnung vor, wenn „der Richter den Angeschuldigten nicht für hinreichend verdächtig“ hält.

Rechtmittel

Damit war die Staatsanwaltschaft (erwartungsgemäß) jedoch nicht einverstanden. Deswegen hat sie gegen diesen „Nichteröffnungsbeschluss“ die „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Das Recht ergibt sich aus §§ 408 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 210 Abs. 2 StPO. Ziel dieses Rechtsmittels ist der Erlass des Strafbefehls oder die Eröffnung des Hauptverfahrens.

Entscheidung

Mit diesem Rechtsmittel hatte die Staatsanwaltschaft dann auch Erfolg. Das Beschwerdegericht, hier also eine Strafkammer des Landgerichts Berlin, hat der Beschwerde stattgeben und das ganze Verfahren dann – wie üblich, sei hier noch angemerkt – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen, §§ 408 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 210 Abs. 3 S. 1 StPO.

In der Begründung folgt das Landgericht der Ansicht der Staatsanwaltschaft, dass ein für eine Verurteilung ausreichender „hinreichender Tatverdacht“ besteht.

To be continued

Mehr ist nicht geschehen bzw. entschieden worden. Erst jetzt in dem sich anschließenden Verfahren wird das zuständige Amtsgericht entscheiden, wie weiter zu verfahren ist: Entweder gibt der Strafrichter der anderen Abteilung dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass des Strafbefehls statt oder er beraumt sogleich einen Termin zur Hauptverhandlung an, § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO.

Wenn die Angeklagte (so ist ihr Titel nach Zustellung des Strafbefehls) keinen Einspruch einlegt, ist sie rechtskräftig verurteilt. Findet die Hauptverhandlung nach ihrem Einspruch oder ohne diesen Umweg durch Entscheidung des Gerichts statt, wird eine Beweisaufnahme durchgeführt, an deren Ende dann ein Urteil ergeht (wenn das Verfahren nicht vorher aus Opportunitätsgründen eingestellt wird).

Alles am Anfang

Gegen dieses Urteil gibt es das Rechtsmittel der Berufung oder der Sprungrevision, gegen das Berufungsurteil kann die Revision eingelegt werden.

Im Prinzip ist also das Verfahren noch ganz am Anfang und das Ende ist offen. Die vom Landgericht geäußerte Rechtsansicht, die die Richter nur aufgrund der Aktenlage gewonnen haben, hat allenfalls die Qualität einer Segelanweisung, es ist aber tatsächlich keine Aufhebung eines „Freispruchs für Klimaaktivisten“, wie Alexander Fröhlich richtig überschreibt.

Image by Davie Bicker from Pixabay

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