Rechtsanwalt Hoenig

Das Weblog des Strafverteidigers

29. Dezember 2022

Alternative Festklebefolgen

Was haben die klebenden Klimaaktivisten zu erwarten, wenn und nachdem sie – rechtskräftig – verurteilt wurden? Es gibt Folgen, die sich nicht durch Crowdfunding aus der Welt schaffen lassen.

In der vergangenen Woche hat erstmalig ein (Berliner) Landgericht entschieden, dass das Blockieren von Straßen durch Festkleben auf ebendiesen grundsätzlich strafbar sein kann.

Es ist damit zu rechnen, dass über diese Rechtsfrage irgendwann einmal die Oberlandesgerichte (in Berlin wird es das Kammergericht sein), der Bundesgerichtshof und/oder das Bundesverfassungsgericht entscheiden werden. Das wird jedoch noch Jahre dauern und für die meisten der angeklagten Sitzblockierer wird ein Marsch durch die Instanzen weder finanziell noch nervlich leistbar sein.

Mit weiteren rechtskräftigen Verurteilungen ist also in zahlreichen Fällen zeitnah zu rechnen. Wie es am Ende mit den dann noch offenen Verfahren aussehen wird, muss dem Blick in die Kristallkugel vorbehalten bleiben.

Strafrechtliche Konsequenzen

Die unmittelbaren strafrechtlichen Folgen dieser zunächst zu erwartenden Verurteilungen sind überschaubar. In den meisten Fällen (in denen die Klebeaktivisten Erwachsene sind) wird es bei einer Geldstrafe bleiben, die irgendwie bezahlt, durch „Spenden“ finanziert oder abgearbeitet werden kann. Eine Freiheitsstrafe wegen der üblicherweise in Betracht kommenden Delikte wird im Normalfall eher die Ausnahme bleiben.

Bundeszentralregister und Führungszeugnis

Das ist aber noch nicht alles, was die Verurteilten erwartet. Eine Verurteilung wegen Nötigung (§ 240 StGB) und/oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) ist zunächst einmal eine Vorstrafe, die im Bundeszentralregister eingetragen wird, §§ 3 und 4 BZRG. Ins Führungszeugnis kommen aber nur Geldstrafen über 90 Tagessätze (oder über 3 Monate Freiheitsstrafe), § 32 BZRG. Wenn allerdings schon eine (andere) Strafe im Register steht oder eine weitere später hinzukommt, wird auch eine Geldstrafe von unter 90 Tagessätzen ins Führungszeugnis eingetragen, § 32 Abs. 2 Ziff. 5 BZRG.

Das ist also schon eine andere Qualität einer Rechtsfolge. Die steckt man als junger Mensch oder Berufsstarter nicht in jedem Fall so einfach weg. Besonders dann, wenn der Arbeitgeber oder Ausbilder auf ein sauberes Führungszeugnis Wert legt. Denn bis diese Verurteilungen aus dem Register getilgt werden, dauert es mindestens fünf Jahre.

Zuverlässigkeitsprüfung

Es gibt aber noch Schlimmeres: Während eine Bäckerei oder ein Industrieunternehmen jemanden trotz Vorstrafe(n) einstellen kann, sieht es z.B. bei Luftverkehrsunternehmen anders aus. Flugbegleiter, Piloten, Servicemitarbeiter auf dem Flugfeld etc. müssen sich Zuverlässigkeitsüberprüfungen unterziehen, wenn sie in den Job wollen, § 7 LuftSiG. Diese Vorschrift verlangt grundsätzlich, dass die Bewerber unbestraft sind. So kann auch nach bereits bezahlter Geldstrafe die Sitzblockade noch böse ins Auge gehen.

Ich habe vor vielen Jahren einen jungen Menschen verteidigt, der wegen mehrerer Schwarzfahrten verurteilt wurde und deswegen die Ausbildung als Koch nicht antreten konnte. Der Ausbildungsbetrieb war Lieferant des Deutschen Bundestages, den man als Mitarbeiter nur mit weißer Weste betreten darf.

Auch die Gewerbeordnung regelt bei einigen erlaubnispflichtigen Berufen Zuverlässigkeitsfragen, wobei eine etwaige Vorstrafe im Einzelfall zu einer unerfreulichen Antwort führen kann.

Sitzblockierer als Rechtsanwalt?

Aber kann ein verurteilter Sitzblockierer und Widerstandsleister noch Rechtsanwalt werden? Das ist nicht so eindeutig im Gesetz festgelegt. Die Bundesrechtsanwaltsordnung versucht es mit einer schammigen Regel:

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist zu versagen, wenn die antragstellende Person sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das sie unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben.

§ 7 Satz 1 Ziff. 5 BRAO

Es stellt sich also die Frage, ob jemand, der andere genötigt und/oder einem Polizeibeamten Widerstand geleistet hat, unwürdig im Sinne dieser Vorschrift ist und daher nicht als Organ der Rechtspflege tätig sein darf, weil die Sicherung einer funktionierenden Rechtspflege nicht gewährleistet scheint. Ob das so ist, entscheidet die für die Zulassung zuständige Rechtsanwaltskammer durch ihre Vorstände.

Entwarnung

Hier kann ich jedoch erst einmal Entwarnung geben: Die Zulassung kann letztlich bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG – zumindest im Regelfall – nur versagt werden, wenn rational nachvollziehbare Gefahren für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, insbesondere die Rechtsuchenden bestehen (Kleine-Cosack, § 7 BRAO Rdz. 10).

Aber Vorsicht, es gibt Ausreißer: Die Kammern und die Anwaltsgerichtsbarkeit verfehlen nicht selten den verfassungsrechtlichen Maßstab, indem sie sich an tradierten Berufsbildidealen des Rechtsanwalts orientieren, der als „Organ der Rechtspflege“ keine Rechtsverletzung begehen darf (Kleine-Cosack, aaO.)

Ich meine allerdings, dass die Zulassung solange nicht versagt werden darf, solange nicht der Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit betroffen war. Also Betrug und Unterschlagung wären beispielsweise solche Delikte, die die anwaltliche Berufssphäre berühren, aber nicht eine aus dem Ruder gelaufene Rangelei mit Polizeibeamten im Rahmen einer Demo.

Wie die Kammern allerdings mit einer Verurteilung wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) umgehen werden, sollte man als angehender Rechtsanwalt besser nicht testen wollen.

Protipp

Im Ergebnis wären die Aktivisten der letzten Generation gut beraten, die Folgen ihres Handelns nicht zu unterschätzen. Auch die möglichen zivilrechtlichen Konsequenzen sollten sie im Blick behalten; etwaige Schadensersatzforderungen verjähren wohl erst nach 30 Jahren.

Nicht nur als Strafjurist halte ich es für keine gute Idee, auch sehr ehrenwerte Ziele mit Straftaten durchsetzen zu wollen.

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10 Kommentare

  • Duncan sagt:

    Ich vermute nur, dass es die Kleber weniger in die freien Berufe oder die Selbständigkeit zieht, sondern vielmehr in den Staatsdienst. Auch da soll es gelegentlich vernünftige Hürden geben, gerüchtete es …
    Wäre interessant, dort auch mal einen Blick hinzuwerfen.

  • @Duncan:

    Es war mir zu mühsam, die Vorschriften für den öffentlichen Dienst (inkl. die des Richteramts) zuverlässig herauszusuchen; das können Richter und Beamte besser; sie haben es einfacher, mal eben einen Kommentar hier zu hinterlassen, um uns aufzuklären. 😉

  • Matthias sagt:

    Insgesamt ein gut satirischer Blogbeitrag.
    Darauf, dass ein Notwehrender an einem Flughafen Mitarbeiter werden will, muss man erst mal kommen.

  • Die andere Seite sagt:

    Ich glaube auch eine Karriere als Kreuzfahrtkapitän ist damit vorzeitig beendet.
    Das Beispiel mit dem Koch ist nicht schlecht. Wo führt das hin, wenn ein Vorbestrafter auf so viele andere Vorbestrafte trifft. Gut das Abgeordnete keine Mitarbeiter sind, sonst würde man die Bude ja gar nicht mehr vollbekommen.

    Um auf die Frage nach beamtenrechtlichen Einstellungschancen zu antworten:
    Mein Dienstherr hält nichts von Eintragungen im Führungszeugnis, die den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zum Inhalt haben.
    Hängt vielleicht damit zusammen, dass die Ausbildung gerade diese Funktion zum Ziel hat.
    Schon eine jugendliche Dummheit wie zum Beispiel der Besitz (zünden ist nicht erforderlich) von „Polenböller“ ist ein K. O. – Kriterium.
    Wird ja auch gerne ignoriert, dass es sich da um einen Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz handelt.

  • Hastalavista sagt:

    Na ja , die können immer noch in die Politik gehen, da sind ja so einige Ganoven ganz unbeschwert unterwegs.

  • Lieblingskollege und Freund,

    was veranlasst Dich, den letzten Satz so versteckend klein zu schreiben?

    Geschmeidigen Rutsch Euch

    Fixed! Thanx. crh

  • Gerd Oichnixohn sagt:

    Wie wäre es eigentlich rechtlich zu bewerten, wenn da mal was schlimmeres passiert? Wenn man sich selbst festklebt, kann man die Blockade ja auch dann nicht beenden, wenn man will.

    Also was ist, wenn da mal ein Krankenwagen oder die Feuerwehr aufgehalten oder signifikant verzögert wird und deswegen jemand ums Leben kommt oder im Rollstuhl landet oder so?

  • Berti sagt:

    Die Frage ist, ob das überhaupt durch die Instanzen getrieben werden soll, damit sich mal Oberlandesgerichte oder BGH oder ggf. sogar das Bundesverfassungsgericht damit befassen. In München hat kein einziger der Aktivisten Rechtsmittel gegen den Präventivgewahrsam eingelegt; das hat man, mutmaßlich wegen der besseren medialen Ausschlachtbarkeit, schlicht hingenommen und erduldet.

  • Rolf Siegen sagt:

    Lieber Altersgenosse Carsten – ich bin Jahrgang 1954 – Deine angepasste Sichtweise ist bedrueckend.
    Denn diese Strafbarkeit der Betroffenen ist eine Auszeichnung zur Dauerrebellion gegen einen Staat, der die Umwelt schaendet und weiter schaenden wird. Der Personenkreis der Rebellen sollte besser oragnisiert werden und weitermachen im Machtkampf gegen einen korrupten Staat.
    Die ehrenwerten Ziele zaehlen , der Repression des Staates nicht nachzugeben. Letzterer ist so einfach mit seinen Waffen zu schlagen.

    Als Auslandsdeutscher werde auch ich mich mit diesem Staat nie versoehnen bis zur Wende durch die Klimakinder.

  • mm sagt:

    Ich bin ein bißchen spät, aber ls Laie frage ich mich, warum bei diesen Aktionen nicht § 315b StGB (Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr) in Betracht kommen. Wenngleich die Frage ob Nötigung oder nicht vorliegen juristisch interessanter sein mag.

    Ggf. wäre doch auch Sachbeschädigung (Kleber auf der Straße) zu prüfen.
    Viele Grüße, mm